Leitartikel:24-Stunden-Handel

US-Broker verfolgen einen gefährlichen Traum

Robinhood will mit einem 24-Stunden-Trading-Angebot die Handlungsfähigkeit von Privatanlegern stärken. Doch im außerbörslichen Handel lauern erhebliche Gefahren für Retail-Investoren.

US-Broker verfolgen einen gefährlichen Traum

24-Stunden-Handel

Tückischer Trading-Traum

Von Alex Wehnert

Eine fortschreitende Demokratisierung der Finanzmärkte mag als hehres Ziel erscheinen, in der Praxis birgt sie aber Gefahren.

Der Traum vom Aktien- und Fondsanteils-Trading rund um die Uhr steht in den USA kurz davor sich zu erfüllen – doch birgt die zunehmende Ausweitung der Handelszeiten gerade für Privatanleger Tücken. Zuletzt hat der Broker Robinhood eine Aufstockung seines Angebots angekündigt: Nutzer können nun an fünf Tagen pro Woche 24 Stunden lang Limit Orders für ausgewählte Exchange Traded Funds (ETFs) und beliebte Einzelwerte wie Tesla, Apple oder Amazon über den Finanzdienstleister platzieren. Über die Zeit plant der Anbieter eine Ausweitung auf zusätzliche Indexfonds und Aktien.

Auch bei anderen Brokern können Investoren zwar zwischen 20 Uhr und 4 Uhr morgens ETFs handeln. Doch ein derart breites außerbörsliches Angebot, das sich auch auf Einzelaktien erstreckt, bietet keine andere US-Handelsplattform. Der Dienstleister schreibt sich auf die Fahnen, die Finanzmärkte demokratisieren zu wollen. Tatsächlich hat der Aufstieg von Robinhood und anderen Neobrokern in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass die Aktienanlage für eine breite Masse erschwinglich geworden ist. Die Ausweitung der Handelszeiten soll den nächsten Schritt auf dem Weg darstellen, faire Bedingungen für alle Marktteilnehmer zu schaffen. Denn auch Retail-Investoren sollen somit nun fast jederzeit auf kursbewegende Ereignisse reagieren und Risiken somit effizienter managen können.

Doch dass eine fortschreitende Demokratisierung der Geldanlage nicht immer wünschenswert ist und mitunter erhebliche Gefahren für die Finanzmarktstabilität birgt, haben die Verwerfungen um Meme Stocks im Frühjahr 2021 gezeigt. Damals verabredeten sich Privatanleger zu konzertierten Aktienkäufen, um Shortsellern zu schaden. In der Folge versuchten binnen weniger Tage hunderttausende Neukunden, Accounts bei Brokern wie Robinhood zu eröffnen. Titel wie Gamestop, die im Mittelpunkt des Interesses standen, legten Kursexplosionen hin und stürzten danach umso heftiger ab. Nicht nur die leerverkaufenden Hedgefonds, die Ziel der Meme-Stock-Aktivisten waren, mussten im Zuge der heftig steigenden Marktvolatilität schwere Verluste verkraften – sondern auch und vor allem Privatanleger, die sich von der Rally mitreißen ließen. 

Das 24-Stunden-Trading für Retail-Investoren droht solche Probleme noch zu verschärfen. Denn der außerbörsliche Handel weist dünne Volumina auf. In der Folge wirken sich einzelne Kauf- und Verkaufsangebote stärker aus als zu regulären Zeiten der Wall Street. Lassen sich nun, da die Börsen wieder im Aufwind liegen, mehr Privatanleger dazu locken, auch abends, nachts und frühmorgens zu traden, dürfte dies die Volumina nicht auf ein Niveau schieben, bei dem von höherer Stabilität des Handels zu sprechen wäre. Die Frequenz dürfte aber noch anziehen und damit wiederum die Volatilität.

Dies hilft vor allem Wholesalern, die mit Brokern interagieren und die Gegenparteien der Robinhood-Kunden bilden. Denn diese Handelsdienstleister verdienen daran, im Rahmen der Orderausführung Aktien zu erwerben und zu einem höheren Preis weiterzuverkaufen oder sie zu veräußern und zu einem niedrigeren Kurs zurückzuerstehen. Für sie ist eine hektischere Handelsaktivität also geschäftsfördernd. Privatanleger, die gegenüber den Trading-Häusern Informationsdefizite haben und keine großvolumigen Absicherungsgeschäfte tätigen können, dürften dagegen alt aussehen. Genauso wie in vergangenen Marktphasen, in denen die Retail-Beteiligung anzog – ob vor dem Großen Crash 1929, dem Börsenkrach 1987 oder zu Zeiten der Dotcom-Blase. Und Geschichte reimt sich ja bekanntlich.

Zwar lässt sich immer auf die Verantwortung des Einzelnen verweisen, doch ist die breite Masse der Privatanleger eben nicht so mündig, wie Robinhood glauben machen will. Das bedeutet, dass es an den Behörden ist, mit härteren Regeln ein Maximum an Transparenz im Orderprozess und eine höhere Ausführungsqualität zu schaffen. Doch eine entsprechende Handelsreform der SEC stößt in der Finanzbranche auf heftige Gegenwehr; bis sie in adaptierter Form Wirkung entfalten könnte, dürfte es noch dauern. Der Trading-Traum der Broker droht für Privatanleger unterdessen zum Albdruck zu werden.

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