KommentarRussische Vermögen

Vertagte Enteignung

Europa diskutiert hitzig über die Frage, wie weit die EU auf eingefrorene russische Vermögenswerte zugreifen kann, um daraus Hilfen für die Ukraine zu finanzieren. Der jüngste Vorschlag der EU-Kommission ist es wert, ernsthaft geprüft zu werden.

Vertagte Enteignung

Russsiche Vermögen

Vertagte Enteignung

Von Detlef Fechtner

Die Frage, in welcher Weise die EU die eingefrorenen russischen Vermögenswerte nutzen darf, um Hilfen für die Ukraine zu finanzieren, ist politisch so sensibel, dass EZB-Präsidentin Christine Lagarde jüngst EU-Kommissar Valdis Dombrovskis sogar auf offener Bühne hart anging. Die Zentralbank warnt energisch vor Maßnahmen, die als Enteignung gewertet werden könnten. Die EU-Kommission pocht indes darauf, ihr Vorschlag habe nichts mit Enteignung zu tun.

Rückzahlung fraglich

Noch fehlen wichtige Details des Vorschlags. Dennoch spricht bereits vieles dafür, dass Lagarde durchaus Gründe zur Besorgnis hat. Jedenfalls ist die Vermutung plausibel, dass die Überlegungen – Ersetzung der Forderung auf Bargeld durch die Forderung auf europäische Anleihen – schlussendlich einer (lediglich vertagten) Enteignung gleichkommen. Zumal es unwahrscheinlich ist, dass Europas Regierungen bei Laufzeitende in einigen Jahren riesige Milliardenbeträge an Russland zurückzahlen werden, die demnächst aus den „frozen assets“ generiert werden, um das Geld an die Ukraine weiterzureichen.

Aber: Selbst wenn man die Vorbehalte der EZB gegen eine Verunsicherung von Investoren in aller Welt teilt: Die Frage, ob die EU stärker auf die Assets zugreifen soll als sie es bislang tut, ist damit längst noch nicht beantwortet. Denn es gibt überzeugende Argumente, den Investorenschutz in diesem Falle hintan zu stellen.

Finanzierung der Hilfe am Limit

Die Finanzierung der Hilfen, die nötig sind, damit sich die Ukraine gegen Russland verteidigen kann, wird immer schwieriger, weil die Geldgeber in ihren nationalen Haushalten an Limits stoßen. Daher darf es kein Tabu sein, auf Maßnahmen zurückzugreifen, selbst wenn sie internationale Investoren irritieren. Das gilt umso mehr, wenn die EU durch Russlands Provokationen im polnischen und estnischen Luftraum immer näher an den Punkt rückt, selbst zur Partei in diesem Krieg zu werden.

Das heißt: Die EU-Staaten sollten dem Vorschlag der EU-Kommission zwar nicht automatisch folgen. Aber ihn, sobald er konkretisiert ist, wohlwollend und zugleich sorgfältig prüfen. Der Vorschlag ist es wert, ernst genommen zu werden.


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