Unterm StrichUnternehmensführung

Vom Wert guter Governance

Was ist „gute“ Governance und wie lässt sie sich messen? Je stärker Nachhaltigkeitsziele die Regeln für Corporate Governance bestimmen, desto anspruchsvoller werden vergleichbare Bewertungen. 

Vom Wert guter Governance

Vom Wert guter Governance

Es könnte das Vademecum aller an guter Unternehmensführung Interessierten und nicht zuletzt aller Aufsichtsräte sein, wenn es mit seinen mehr als 600 Seiten nicht ein ziemlich dicker und damit unhandlicher Wälzer wäre. Es handelt „Vom Wert guter Governance“. So verspricht es der Titel. Und das Versprechen wird eingelöst von dieser Festschrift für Christian Strenger, den viele nicht nur wegen seiner jüngst vollendeten 80 Lebensjahre den „Godfather of Corporate Governance“ in Deutschland nennen (vgl. Interview mit Strenger, BZ vom 26. Mai).

Von Claus Döring

Was ist „gute“ Governance und wie lässt sie sich messen? Je stärker Nachhaltigkeitsziele die Regeln für Corporate Governance bestimmen, desto anspruchsvoller werden vergleichbare Bewertungen. 

Aber was ist „gute“ Governance, deren Wert wir nach zig Unternehmensskandalen und Pleiten unisono so schätzen, deren genaue Definition aber so schwer fällt? Was zeichnet sie aus, woran erkennt man sie und vor allem: Wie misst man sie? Die alte Controller-Weisheit „Miss es oder vergiss es“ hat ja längst alle Verwurzelungen börsennotierter Unternehmen durchdrungen und neben der finanziellen Berichterstattung zu einem kaum zu überblickenden (Wild-)Wuchs an zusätzlichen nichtfinanziellen Kennziffern, KPIs und Ratings geführt. Ein weites Feld, das zu bestellen es inzwischen mit dem International Sustainability Standards Bord (ISSB) in Frankfurt einer eigenen Institution bedarf.

Den Kapitalmarkt dürstet nach verlässlichen Urteilen über den ESG-Status von Emittenten. Er saugt nahezu alles auf, was es trotz aller Heterogenität an ESG-Ratings von den sechs führenden Agenturen gibt, ganz nach der Erkenntnis des britischen Philosophen Carveth Read: „It is better to be vaguely right than exactly wrong.“ Wobei der Prozess der Erkenntnis und Vermessung beim „E“ der ESG-Kriterien noch am weitesten fortgeschritten ist, weil die Ziele des Klima- und Umweltschutzes selten strittig und in ihrer Erfassung naturwissenschaftlich unterlegt sind. Für das „G“ dagegen liegen die Vorstellungen schon normativ oft weit auseinander und unterliegen unterschiedlichen Stakeholder-Interessen ebenso wie dem Zeitgeist.

Die DVFA-Scorecard für Corporate Governance war ein schon im Jahr 2000 entwickelter und ab 2016 für die Dax-Unternehmen eingeführter Ansatz, „gute“ Governance zu bewerten, jedenfalls vor dem Hintergrund des Governance-Kodex der Regierungskommission. Das mochte reichen, solange Gesetzgeber und Kodexkommission formale und quantitative Vorgaben machten und die Scorecard den Erfüllungsgrad erfasste nach dem Grundsatz „Comply or explain“. Da aber formale Kriterien wie Alter, Geschlecht, Ethnie und Ausbildung keinen zwingenden Schluss auf die Leistung des Einzelnen und noch weniger auf die Effizienz im Zusammenwirken einer Gruppe wie Vorstand oder Aufsichtsrat erlauben, ist die Messung „guter“ Governance allein auf dieser Grundlage zum Scheitern verurteilt.

Inzwischen spielen auch im „G“ für gute Unternehmensführung Nachhaltigkeitsziele zunehmend eine Rolle und schlagen sich in Vergütungssystemen, im Risikomanagement, in der Unternehmensberichterstattung wie auch dem Compliance-System mit Lieferkettenüberwachung nieder. Der deutsche Governance-Kodex hat diese Entwicklung in seiner im Juni 2022 aktualisierten Version antizipiert und Nachhaltigkeit als Wert integriert. Entsprechend sollte auch ein Governance-Score dies erfassen und berücksichtigen. Damit ist die Messung „guter“ Governance noch anspruchsvoller – manch einer würde sagen: unmöglich – geworden. Die Entwicklung eines Sustainable Governance Score steckt wissenschaftlich noch in den Anfängen und hat die Bewährungsprobe in der Praxis bei Emittenten und Investoren erst vor sich. Aber die Debatte ist eröffnet, und sie sollte sich nicht nur auf bereits börsennotierte Unternehmen beschränken. Die eingangs erwähnte Festschrift für Christian Strenger enthält manch lesenswerten Impuls dazu.   

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