Notiert in Brüssel

Von wegen Hummer und Rolex

Mit Einladungen in Spesenlokale und großzügigen Geschenken hat die Tätigkeit von Lobbyisten in Brüssel nicht (mehr) viel zu tun. Das bedeutet aber nicht, dass einige von ihnen durchaus zweifelhafte Praktiken anwenden.

Von wegen Hummer und Rolex

Notiert in Brüssel

Von wegen Hummer und Rolex

Von Detlef Fechtner

In Brüssel ist es nie ein Schimpfwort gewesen: Lobbyist. Während andernorts Interessenvertreter gerne ihre Tätigkeit hinter Titeln wie „Direktor für Politische Kommunikation“ oder „Head of Regulatory Affairs“ zu verbergen suchen, stellen sich in Brüssel Lobbyisten oft als das vor, was sie sind: Lobbyisten.

Schließlich besteht in Europas Hauptstadt schon lange nicht mehr das Missverständnis, dass es sich dabei um Menschen handele, die Abgeordnete und Beamte in überteuerte Spesenlokale einladen, mit allerlei Geschenken überhäufen, um sie zu Gegenleistungen zu bewegen. Hand aufs Herz: Dafür sind es einfach viel zu viele. Kein Europaabgeordneter könnte so viel Hummer und Austern vertilgen und so viele Rolex- oder Breitling-Uhren tragen, wenn die fünfstellige Zahl von Interessenvertretern in Brüssel tatsächlich ständig in teure Restaurants bitten und schicke Uhren rüberschieben würde.

Der Alltag von Lobbyisten in Brüssel hat mehr damit zu tun, Gesetzgebungsvorschläge nach sensiblen Punkten für ihre Auftraggeber zu durchforsten und dann möglichst belastbare Argumentarien zu erstellen und an den Mann oder die Frau im EU-Parlament oder in der EU-Kommission zu bringen.

Das soll nicht heißen, dass es nicht durchtriebene Vertreter der Spezies gibt, die sich mehr als zweifelhafter Praktiken bedienen. So erzählen Abgeordnete von Besuchern, die mit Ausarbeitungen zur Volksgesundheit dafür warben, dass Käseprodukte über die gesamte Lieferkette hinweg bei maximal 8 Grad gelagert werden sollten. Als ein Abgeordneter Nachforschungen anstellte, entdeckte er, dass hinter dieser Initiative Winzer standen, die mit Lebensmittelhygiene nichts am Hut hatten, aber ihre monatelang leeren Weinkeller profitabel als Lagerungsstätten anbieten wollten.

In den vergangenen Jahren hat sich die Lobbyarbeit von der EU-Kommission in das EU-Parlament verschoben. Weil Interessenvertreter nicht mehr so munter durch die Amtsstuben der EU-Kommission spazieren dürfen wie früher. Und weil einzelne Abgeordnete, vor allem die Berichterstatter, einfacher Einfluss nehmen können auf Details eines Gesetzesentwurfs. Kein Zufall also, dass die Büromieten in der Rue Montoyer, die zum Parlament führt, schneller gestiegen sind als in der Rue de la Loi nahe der Zentrale der EU-Kommission.

Aktuell sieht sich der Online-Händler Amazon mit der Forderung von mehr als 30 zivilgesellschaftlichen Gruppen konfrontiert, seine Besucherausweise im EU-Parlament abzugeben. Der Grund: Amazon hat sich wiederholt geweigert, sich in Parlamentsausschüssen zu Arbeitsbedingungen in Logistikzentren befragen zu lassen. Wenn die nicht mit dem Parlament reden wollen, sollte das Parlament auch nicht mit denen reden, lautet die Kernbotschaft des Vorstoßes. Na ja, vielleicht muss Amazon demnächst doch wieder Abgeordnete in Restaurants einladen, um sie zu treffen.

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