Vorteil Kamala Harris
Vorteil Kamala Harris
Von Peter De Thier
Wären Sachlichkeit, Intellekt, schlüssige Argumentation und plausible, politische Pläne entscheidend, dann dürfte in weniger als zwei Monaten einem Wahlsieg von US-Vizepräsidentin Kamala Harris eigentlich nichts mehr im Wege stehen. Denn in dem mit großer Spannung erwarteten Fernsehduell gegen den ehemaligen Präsidenten Donald Trump gab die Demokratin eine souveräne Figur ab.
Konkrete Positionen
Harris legte konkrete Initiativen vor: Um über Steuererleichterungen und Starthilfen beim Hauskauf der Mittelklasse zu helfen. Auch, um Preisabsprachen in der Industrie zu bekämpfen. Zudem will sie Abtreibungsrechte wieder in Kraft setzen und grüne Energien fördern. Bei dem früheren Präsidenten hingegen blieben konkrete Initiativen auf der Strecke, Inhalte kamen deutlich zu kurz. Dafür griff er auf alte Methoden zurück: Schimpftiraden, Lügen und Verschwörungstheorien.
Zudem fädelte die gut vorbereitete Vizepräsidentin geschickt effektive Seitenhiebe gegen den Ex-Präsidenten ein. Sie erinnerte daran, dass er ein verurteilter Straftäter ist. Dass er vor dreieinhalb Jahren den blutigen Aufstand im US-Kapitol angezettelt hatte. Auch, dass Trump durch seine Verharmlosung der Corona-Pandemie dazu beitrug, dass mehr als eine Million Amerikaner ihre Leben verloren. Zudem rief sie den Wählern in Erinnerung, dass sein Umgang mit der Pandemie die Lieferkettenengpässe verschärft hatte. Damit habe der Republikaner zu jener hohen Inflation beigetragen, die er ausgerechnet Harris und ihrem Chef Joe Biden zur Last legen will.
Absurde Lügen
Trump, der für seine Verhältnisse relativ diszipliniert war, ließ sich dennoch ködern. Er tappte in jede Falle, die seine Gegnerin ihm legte. Auf seine Schwächen und Versäumnisse angesprochen, reagierte er mit einigen der absurdesten Lügen, die er jemals über die Lippen gebracht hat. Etwa, dass illegale Einwanderer in Ohio die Haustiere amerikanischer Wähler essen würden. Oder dass die Vizepräsidentin Transgender-Operationen für illegale Immigranten unterstütze, die im Gefängnis sitzen.
Gleichwohl ist die Stärke eines Fernsehauftritts höchst subjektiv. Zwar sind sich politische Experten darüber einig, dass Harris einen überzeugenden Sieg für sich verbucht hat. Das ergaben auch erste Blitzumfragen bei dem Publikum. Doch es werden keine Punkte vergeben, und allein die Wähler, vor allem in den kritischen Swing States, werden entscheiden, wer „gewonnen“ hat. So gesehen bleibt alles offen. Zumindest, bis in wenigen Tagen die neuesten Umfragen darüber Aufschluss geben werden, wie das TV-Publikum das Medienspektakel wahrgenommen hat.
Risiken für Harris
Obwohl die meisten politischen Experten Harris klar im Vorteil sehen, wäre es ein Fehler, Trump nun zu unterschätzen. Für ihn spricht insbesondere die Tatsache, dass viele unschlüssige Wähler sich an eine Zeit unter dem Republikaner zurückerinnern, als die Preise niedrig waren und die Zinsen fast bei Null lagen.
Das ist weder Trumps Verdienst noch ein Versäumnis der Vizepräsidentin. Gleichwohl genießt Trump einen wichtigen, strategischen Vorteil. So traut eine relative klare Mehrheit dem früheren Präsidenten eher als der amtierenden Vizepräsidentin zu, wirtschaftliche Probleme in den Griff zu bekommen. Von der Bekämpfung der Inflation über die Schaffung neuer Jobs bis hin zur Förderung der heimischen Energieindustrie. In einer knappen Wahl kann dieses Attribut allemal entscheiden.