Im BlickfeldKonkurrenz für New York und Kalifornien

Warum Amerikas Wirtschaft nach Texas drängt

US-Unternehmen verlegen ihre Hauptsitze angesichts niedriger Steuern und freundlicher Regulierung in Massen in den Lone Star State. Daneben macht dieser als Finanzzentrum inzwischen sogar New York Konkurrenz.

Warum Amerikas Wirtschaft nach Texas drängt

Amerikas Wirtschaft auf dem Treck nach Texas

US-Unternehmen verlegen ihre Hauptsitze angesichts niedriger Steuern und freundlicher Regulierung in Massen in den Lone Star State. Daneben macht dieser als Finanzzentrum inzwischen sogar New York Konkurrenz.

Von Alex Wehnert, New York

Amerikas Finanz- und Unternehmenselite begibt sich auf den Treck nach Süden: Texas, wiewohl schon seit Jahrzehnten eine ökonomische Supermacht, steigt als Wirtschaftsstandort gerade in neue Dimensionen auf. Der Lone Star State beheimatet inzwischen mehr Mitglieder der Fortune 500 als jeder andere US-Bundesstaat und schickt sich an, als Bankenzentrum sogar New York Konkurrenz zu machen. Zu verdanken hat das Land der Cowboys, Rinder und Ölbohrtürme seine massiven Statusgewinne den niedrigen Steuern, einer unternehmensfreundlichen Regulierung – und einem ideologischen Graben von der Größe des zwischen Lubbock und Amarillo gelegenen Palo Duro Canyon, der durch die amerikanische Gesellschaft läuft.

Chevron wandert ab

Den jüngsten Beleg liefert der Ölriese Chevron. Dieser kündigte Anfang August an, sich nach fast 150 Jahren vom Hauptstandort Kalifornien verabschieden zu wollen. Zu sehr hätten die Demokraten in Sacramento den Konzern mit ihrer Energie- und Klimaschutzpolitik genervt, ließ CEO Mike Wirth durchblicken. Bereits im Januar hatte Chevron das „zunehmend feindliche regulatorische Umfeld“ in Kalifornien für eine Wertminderung ihrer Assets um 3,5 bis 4 Mrd. Dollar verantwortlich gemacht, nachdem Rechtsstreitigkeiten die Raffinerieinvestments in dem Westküstenstaat gebremst hätten. Besonderen Anstoß erregte zuletzt ein neues Gesetz, mit dem der demokratische Gouverneur Gavin Newsom „Big Oil“ schlagen will – durch dieses sollen Energieriesen für zu hohe Tankstellenpreise bestraft werden.

Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom macht sich im Ölsektor keine Freunde. Foto: picture alliance / Anadolu | Tayfun Coskun.

Nun will Chevron alle Unternehmensabteilungen binnen fünf Jahren nach Houston verlegen, wo sie bereits 7.000 Mitarbeiter beschäftigt. In der selbsternannten „Weltenergiehauptstadt“ wird der Konzern Nachbar des größeren Rivalen ExxonMobil – sehr zur Freude des texanischen Gouverneurs Greg Abbott. „Willkommen zu Hause, Chevron!“, schrieb dieser auf die Ankündigung hin auf der Plattform X und schob den alten republikanischen Wahlkampfslogan „Drill, baby, drill“ („Bohr, Baby, bohr“) hinterher.

Die große Unterstützung für die Ölindustrie ist Teil einer eng koordinierten Kampagne republikanischer Bundesstaaten, konservativer Thinktanks und rechtsgerichteter Interessengruppen gegen Nachhaltigkeitsinvestments, die S&P Global schon seit geraumer Zeit beobachtet. Vor zwei Jahren legte Texas eine seither aufgestockte Liste von nahezu 350 Fonds vor, die angeblich Energieunternehmen boykottieren. Der dortige Rechnungsprüfer forderte staatliche Pensionsfonds auf, ihre Beteiligungen an den Vehikeln abzubauen, unter dem politischen Druck sind seither zahlreiche Vermögensverwalter eingeknickt.

Texas-Gouverneur Greg Abbott hat angesichts der starken Unternehmenszuwanderung in seinen Staat gut lachen. Foto: picture alliance / Anadolu | Jacek Boczarski.

Mit dem Umzug von Chevron fährt Gouverneur Abbott den nächsten Sieg für das rechtskonservative Lager ein. Seit 2015 sind nun mehr als 300 große Unternehmen nach Texas umgezogen, der Großteil davon kommt aus Kalifornien. Hintergrund ist auch, dass der Lone Star State lediglich eine Bruttoumsatz-, aber keine Körperschaftsteuer erhebt, während im Golden State Raten von 9% fällig werden. Davon will auch Elon Musk profitieren, der die Hauptsitze seiner Social-Media-Plattform X und seines Raumfahrtunternehmens SpaceX von Kalifornien nach Texas verlegt.

Hintergrund ist auch in diesem Fall eine politische Debatte. Diese dreht sich um ein Gesetz, das der Gouverneur Newsom im Juli unterzeichnete. Dieses soll Schulen daran hindern, Eltern darüber zu informieren, dass ihre Kinder sich als homosexuell oder transgender identifizieren. Musk bezeichnete das Gesetz in einem Post auf X sinngemäß als „Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt“. Es schließe sich an eine Serie von Maßnahmen an, mit denen Kalifornien Familien sowie Unternehmen angegriffen habe. Zugleich kritisierte Musk die mangelnde Sicherheit für Mitarbeiter in San Francisco. Er sei „es leid, Gangs aus gewalttätigen Drogensüchtigen auszuweichen“.

Elon Musk will mit X und SpaceX aus Kalifornien wegziehen. Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Billy Bennight.

Die Plattform werde deshalb nach Austin umziehen, wo auch schon Musks E-Autobauer Tesla sitzt. Die neue Adresse von SpaceX soll sich bei Brownsville befinden. Der X-Account von Newsoms Büro reagierte mit Spott auf die Ankündigung. „Beim vergangenen Mal, als Elon Musk einen Hauptsitz ‚verlegte‘, hat Tesla schlussendlich in Kalifornien expandiert“, hieß es dort.

Doch bei kalifornischen Wählern, die unter hohen Lebenshaltungskosten ächzen, sorgt die Abwanderung großer Arbeitgeber zunehmend für Unmut. Und der lokale Gewerbeimmobilienmarkt steht noch stärker unter Druck als infolge hoher Zinsniveaus und des Homeoffice-Trends ohnehin schon. Laut dem Immobiliendienstleister CBRE standen in San Francisco im zweiten Quartal 36,8% der Büroflächen leer, die Quote hat sich damit seit 2021 mehr als verdoppelt.

Banken ziehen Türme hoch

In Texas macht der Leerstand weniger Sorgen, vielmehr wird dort mitunter im großen Stil gebaut – gerade die Finanzbranche breitet sich zunehmend aus. Goldman Sachs lässt sich in Dallas für 500 Mill. Dollar einen Büroturm bauen, in dem künftig 5.000 Banker und Investmentkräfte arbeiten sollen. Konkurrentin Wells Fargo will unweit vom neuen Goldman-Tower im kommenden Jahr gleich zwei große Büroimmobilien eröffnen, während der 2021 von Kalifornien nach Texas umgezogene Broker Charles Schwab bereits an seinem vierten Gebäude in Westlake, einem Vorort in der Metropolregion Dallas-Fort Worth, baut.

Gemäß Daten des US-Bundesbüros für Arbeitsmarktstatistik ist die Beschäftigungszahl im texanischen Investment-Banking- und Wertpapiersektor in den vergangenen 20 Jahren um 111% in die Höhe geschossen, in New York steht im gleichen Zeitraum ein Zuwachs um 16%. J.P. Morgan verfügt im Land der Cowboys schon jetzt über mehr Mitarbeiter als im Empire State. Die CEO-Vereinigung Partnership for New York City warnte bereits vor fast einem Jahrzehnt davor, dass Konkurrenz durch Standorte wie Dallas den Status des Big Apple als Weltfinanzhauptstadt gefährdeten.

Neue Börse am Start

Diese Gefahr ist nun noch konkreter geworden. So soll in Dallas die neue elektronische Börse TXSE entstehen, die von Investoren um Blackrock und Citadel Securities mit Milliardenmitteln gestützt wird und ab dem kommenden Jahr um Trading-Volumina buhlen will. Ab 2026 wollen die Texaner dann im eigentlich lukrativen Teil des Geschäfts, dem Listing-Markt, angreifen.

Damit schlägt die TXSE in die gleiche Kerbe wie die Investors Exchange oder die CBOE Global Markets. Diese haben bei ihren Versuchen, in den Markt für Aktiennotizen vorzustoßen, bisher zwar nur bescheidene Fortschritte erzielt. Allerdings geht die TXSE in einem Umfeld an den Start, in dem sich die Verhältnisse so stark verschieben wie lange nicht – und der Treck nach Süden noch einmal gewaltig Fahrt aufnimmt.