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Warum Finanzinvestoren reihenweise gelistete Firmen von der Börse wegkaufen

Finanzinvestoren kaufen derzeit reihenweise gelistete Unternehmen. Manchmal ist der Take-Private-Deal die Rolle rückwärts nach einem misslungenen IPO.

Warum Finanzinvestoren reihenweise gelistete Firmen von der Börse wegkaufen

Private Equity auf Shoppingtour an der Börse

Finanzinvestoren kaufen derzeit eine ganze Reihe gelisteter Unternehmen. Manchmal ist der Take-Private-Deal auch nur die Rolle rückwärts nach einem misslungenen IPO.

Von Christoph Ruhkamp, Frankfurt

Finanzinvestoren kehren nach einigen Monaten der Zurückhaltung jetzt an den M&A-Markt zurück. Der Anteil der Private-Equity-Häuser am Dealvolumen nimmt wieder zu. Sie stehen in scharfer Konkurrenz um Akquisitionsziele und sind immer öfter bereit, auch börsennotierte Unternehmen zu übernehmen – oder sogar nach einem misslungenen IPO wieder von der Börse zurückzukaufen und dabei höher zu bewerten als die klassischen Aktieninvestoren. Die Finanzinvestoren stehen unter Anlagedruck, weil sie über Billionen an Dollar an Kapitalzusagen ihrer Investoren verfügen – allein 1,1 Bill. Dollar vom "Dry Powder" sind für Buy-out-Deals reserviert.

Dadurch kommen auch Public-to-Private-Deals wieder in Mode. In den vergangenen drei Monaten sind laut Daten der Nachrichtenagentur Bloomberg bei börsennotierten europäischen Unternehmen Übernahmeangebote in Höhe von etwa 37 Mrd. Euro eingetrudelt – viele davon stammten von Finanzinvestoren. Schnäppchenjäger von Blackstone bis Cinven versuchen, die Gunst der Stunde mit den niedrigen Aktienkursen zu nutzen.

Delistings für Suse und Synlab

Jüngste Beispiele in Deutschland waren nach den Softwarefirmen Suse und Software AG jetzt der Compliance-Software-Spezialist EQS und Europas größter Laborbetreiber Synlab aus München sowie in Norwegen der Online-Kleinanzeigenriese Adevinta. Alle diese Unternehmen haben kürzlich Private-Equity-Angebote erhalten, die oft nach Ansicht der Führungsetagen nicht den langfristigen Wert widerspiegeln.

So steht Synlab – erneut – vor einer Komplettübernahme durch den Finanzinvestor und Großaktionär Cinven. Dieser will die Anteile, die ihm noch nicht gehören, für 10 Euro das Stück kaufen. Dagegen querschießen könnte der Hedgefonds Elliott des berüchtigten US-Investors Paul Singer, der sich 6,5% der Anteile verschafft hat.

Das Besondere: Cinven hatte Synlab erst im Frühjahr 2021 an die Börse gebracht. Der Ausgabepreis hatte damals 18 Euro betragen, die Bewertung lag damit bei rund 4 Mrd. Euro. Jetzt bietet der Finanzinvestor nur 2,2 Mrd. Euro. In den ersten Monaten nach dem IPO war das Papier unter anderem wegen des durch die Corona-Pandemie befeuerten Booms für Labordienstleister noch gefragt. Der Kurs zog bis auf 25 Euro im November 2021 an. Doch das Niveau konnte das Papier nicht lange halten. Im März 2023 kostete es zeitweise weniger als 7 Euro. Nun könnte der Labordienstleister bald wieder von der Börse verschwinden.

Die Geschichte ähnelt dem Übernahmeangebot des Investors EQT für Suse. Der Softwareanbieter war ebenfalls im Frühjahr 2021 an die Börse gebracht worden, ehe EQT jetzt im August die Rolle rückwärts einleitete. Inzwischen ist die Aktie wieder vom Kurszettel verschwunden. Als Grund für den Rückzug von der Börse nannten die Unternehmen geschäftliche Probleme. Wie bei Synlab war das IPO nur zu Beginn ein Erfolg. Vom Ausgabepreis in Höhe von 30 Euro war es bis auf 44 Euro nach oben gegangen, bevor der Kurs bis auf rund 10 Euro im Sommer absackte, bevor EQT dann die Papiere für 16 Euro vom Markt nahm.

Im Frühjahr 2021 hatten die Finanzinvestoren die Gunst der Stunde im IPO-Hype genutzt. Die Notenbanken fluteten die Welt mit billigem Geld und die Regierungen rund um den Globus steuerten ihren Teil mit billionenschweren Konjunkturprogrammen bei, um die Folgen der Pandemie abzufedern. Das spülte viele Bewertungen nach oben und ermöglichte teure Börsengänge. Doch dann steckten die Private-Equity-Häuser nach IPOs, die gemessen an der Entwicklung nach dem Handelsstart misslungen waren, bei fallenden Kursen in ihren Beteiligungen fest. Mit den Re-Take-Privates machen sie nun die Not zur Tugend.

Wer mit seinem Portfoliounternehmen früher an die Börse kam, ist oft besser dran. So hat Permira mit der Softwarefirma Teamviewer durch den Börsengang im Jahr 2019 und spätere Aktienverkäufe bisher 5,5 Mrd. Euro eingenommen. Gekauft hatte Permira das Unternehmen zu rund 900 Mill. Euro.

Johannes Lucas, Chef der M&A-Beratung Stifel Europe Advisory, erwartet "keinen besonderen Hype um Taking Privates": "Erstens sind die Zinsen hoch und die üblichen Banken haben derzeit generell wenig Appetit auf zusätzliches Risiko ob der eigenen Sorgen im bestehenden Kreditportfolio", sagte Lucas der Börsen-Zeitung. "Zweitens ist die Regulatorik bei Übernahmen noch schärfer geworden." Und drittens verringerten die geforderten Übernahmeprämien in den meisten Fällen die vermeintliche wirtschaftliche Attraktivität eines Taking Private.

"Keine Welle zu erwarten"

Abgesehen von Einzelfällen, bei denen stark wachsende, profitable Unternehmen, durch ihren historischen Cap Table und die heutige, meist geringe Marktkapitalisierung gebremst, keinen vernünftigen Zugang zu weiterem Kapital haben, werde man vermutlich keine Welle von Taking Privates sehen. "Viel erschreckender ist im Umkehrschluss der Umstand, dass der deutsche Finanzplatz es immer noch nicht geschafft hat, vorbörslich und über den hiesigen Markt für Wachstums- und Technologieunternehmen einen bewertungs- und volumenseitig interessanten institutionalisierten Zugang zu Risikokapital zu gewährleisten", mahnt Lucas. "Jedes Taking Private ist im Kern ein trauriger Beweis für den chronisch kränkelnden Zustand unseres Finanzplatzes.“

Frühere Take Privates waren der Kabelnetzbetreiber Tele Columbus (Morgan Stanley Infrastructure), der Haustierbedarfshändler Zooplus (EQT) und der Münchener Verkehrstechnikspezialist Schaltbau (Carlyle). Die Investmentthese lautete meist: Man könne die langfristige Wachstumsstrategie am besten in einer privaten Eigentümerstruktur verfolgen.

Laut Alexander Bleck, Leiter des Investmentbankings von Nomura in Deutschland, bleibt das Börsenumfeld "aktuell herausfordernd, sowohl für IPOs als auch für gelistete, noch kapitalhungrige Wachstumsunternehmen": "Die heute niedrigeren Bewertungen machen traditionelle Eigenkapitalfinanzierung via Kapitalerhöhung oft unattraktiv", sagt Bleck. "Es gibt einige gelistete Unternehmen, die den damaligen Börsengang aus heutiger Sicht nicht oder erst später gesucht hätten." Nomura sehe derzeit rege Aktivität im Bereich Private Placements bei spezialisierten Investoren in den Feldern Infrastruktur und Energiewende sowie weiteren Sektoren, die für Impact-Investments interessant sind. "Einige der hier aktiven Investoren können auch in bereits gelistete Wachstumsunternehmen investieren", sagte Bleck. "Insofern spiegeln Take Privates aus unserer Sicht auch die Tatsache wider, dass der private Kapitalmarkt aktuell in einigen Bereichen tiefer ist als der öffentliche Kapitalmarkt.“

Bei den Take Privates werden teilweise exorbitante Prämien gezahlt. Bei der Aareal Bank, die inzwischen ihr Delisting abgeschlossen hat, bot Centerbridge einen Aufschlag von 35% auf den volumengewichteten durchschnittlichen Kurs während der letzten drei Monate. Morgan Stanley legte 37,5% beim Kabelbetreiber Tele Columbus drauf, der jetzt hart an der Pleite vorbeischrammte, und Carlyle bot 44% mehr bei Schaltbau. Spitzenreiter ist jedoch EQT. Die Schweden boten bei Zooplus einen Aufschlag von 69% – und bei Va-Q-Tec sogar 98%. Das ist viel: Im Durchschnitt werden bei Public-to-Private-Deals laut Refinitiv nur 42% obendrauf gezahlt.

Sind die Bewertungen bei Public-to-Private-Deals schon überhitzt? Nicht unbedingt. Einerseits können Finanzinvestoren keinerlei Synergien als Grund für die höhere Bewertung anführen. Andererseits zahlen sie jedoch oft niedrigere Preise, als für dieselben Unternehmen vor der Pandemie aufgerufen wurden. Sie können bei der Haltedauer einen längeren Atem aufbringen als viele Aktienfonds.

Sie blicken über die aktuelle Krise hinaus und können selbst unternehmerisch eingreifen, weil sie in den von ihnen erworbenen Unternehmen das Sagen haben. Sie müssen weder auf einen komplizierten Eigentümerkreis noch auf einen uneinigen Aufsichtsrat Rücksicht nehmen, und sie können vorübergehend auf Dividende verzichten, um mit dem einbehaltenen Kapital das Wachstum zu beschleunigen.

Neuerdings entschließen sich die Führungsetagen der Unternehmen öfter zu dem bisher ungewöhnlichen Schritt, ihren Aktionären keine Empfehlung über Annahme oder Ablehnung der Private-Equity-Angebote zu geben. Stattdessen forderten sie sie auf, ihre eigene Entscheidung zu treffen.

Vorstand und Aufsichtsrat von Synlab teilten Anfang November mit, das Angebot von Cinven in Höhe von 2,2 Mrd. Euro sei aus finanzieller Sicht “nicht angemessen”. Als Beleg zitierten sie zwei Gutachten, die zum selben Ergebnis kommen. Gleichwohl habe sich nach Gesprächen mit anderen Interessenten “das Angebot von Cinven als das attraktivste im aktuellen Umfeld herausgestellt”. Außerdem schätze man die Unterstützung Cinvens für Synlabs Strategie.

Synlabs Vorstand und Aufsichtsrat enthielten sich letztlich jeglicher Empfehlung und kamen zu dem Schluss, dass jeder Aktionär “seine eigene Entscheidung darüber treffen muss”. Die Führungskräfte werden ihre eigenen Aktien andienen.

Cinven hält rund 43% der Anteile. Die Transaktion wird von den übrigen Kernaktionären wie Novo Holdings und Ontario Teachers’ Pension Plan Board unterstützt. Synlab-Gründer Bartholomäus Wimmer habe sich ebenfalls verpflichtet, 60% seiner Aktien im Rahmen des Angebots zu veräußern und die verbleibenden Aktien zu reinvestieren. Damit habe Cinven sich bereits den Zugriff auf fast 80% der Anteile gesichert, hatte es Ende September geheißen.

Unentschiedene Verwaltungsräte

Ähnlich unentschieden zeigen sich derzeit die unabhängigen Verwaltungsräte des norwegischen Kleinanzeigenriesen Adevinta angesichts eines Angebots der Finanzinvestoren Permira und Blackstone in Höhe von 14 Mrd. Euro einschließlich Schulden. Sie seien überzeugt, dass ein höherer Wert erreicht werden könne, aber dennoch liege die Offerte “innerhalb der Spanne” dessen, was fair sei, und einige risikoscheue Investoren könnten verkaufen wollen, hieß es in ihrer Stellungnahme. Da sich Adevintas Kernaktionäre – der norwegische Medienkonzern Schibsted und die Auktionsplattform Ebay – mit den Bietern bereits handelseinig waren, kamen die Verwaltungsräte letztlich zu dem Schluss, dass es nur begrenzte Alternativen gab, und legten den Aktionären das Angebot vor.