Wenn der Barista mehr verdient
Wenn der Barista mehr verdient
Notiert in London
Wenn der Barista mehr verdient
von Andreas Hippin
Viele Berufseinsteiger in der City of London werden sich wundern. Bald könnte es sein, dass der Barista im Coffeeshop neben dem Büro mehr verdient als sie. Der gesetzliche Mindestlohn steigt in Großbritannien im April kommenden Jahres um rund 4%. Damit steigt das Jahreseinkommen von Vollzeitkräften, die nicht mehr bezahlt bekommen, auf 26.416 Pfund. Vor allem Mitarbeiter des Einzelhandels und des Gastgewerbes dürften davon profitieren.
Wer es geschafft hat, bei einer der führenden Law Firms aus den Vereinigten Staaten unterzukommen, die in der britischen Metropole händeringend nach Universitätsabsolventen suchen, verdient natürlich wesentlich mehr. Quinn Emanuel Urquhart & Sullivan zahlt frisch qualifizierten Anwälten 180.000 Pfund. Auch Investmentbanker schneiden in der Regel gut ab. Doch verringert sich der Abstand schnell, wenn man sich nicht nur die Spitzeninstitute ansieht.
Abstand verringert sich
Wer für eine der vielen mittelgroßen Kanzleien arbeitet, steigt irgendwo um die 40.000 Pfund ein. Für Trainees und Kandidaten für das SQE (Solicitors Qualifying Exam) empfiehlt die Law Society ein Salär von 28.090 Pfund in London. Anderenorts hält sie 24.916 Pfund für ausreichend.
Wirtschaftsprüfer fangen im Schnitt bei 35.000 Pfund an. Trainees bekommen dem Institute of Chartered Accountants in England & Wales (ICAEW) zufolge zwischen 18.000 und 28.000 Pfund pro Jahr. Glaubt man Glassdoor, bewegen sich die Einstiegsgehälter für Graduierte im Commercial Banking zwischen 32.000 und 39.000 Pfund. Targetjobs verortet die Einstiegsgehälter für Bankanalysten, einem der klassischen Jobs für Universitätsabsolventen, in der Spanne von 32.000 bis 52.000 Pfund.
„Purpose“ reicht nicht
Lohnt sich ein Studium überhaupt noch, wenn man am Ende nur so niedrige Gehälter bekommt? Diese Frage stellen sich offenbar viele, denn allerorten hört man Klagen über Fachkräftemangel. Aber die Finanzbranche und ihre Dienstleister werden nicht nur beim „Purpose“ nachbessern müssen. Denn Uniabsolventen wollen nicht nur die Welt verbessern, sondern auch angemessen entlohnt werden. Sonst ist es für sie vielleicht bald attraktiver, Kaffee oder Bier auszuschenken. Da wird man nach Stunden bezahlt und die Kollegen sind netter.
Und hat man es doch einmal zum Partner einer Kanzlei oder Wirtschaftsprüfungsgesellschaft geschafft, will einen der Fiskus zur Kasse bitten. Zu den neuen Einnahmequellen, die sich Schatzkanzlerin Rachel Reeves erschließen könnte, gehören Sozialversicherungsabgaben auf die Einkommen von Partnern von Limited Liability Partnerships (LLPs). Entsprechende Überlegungen lösten wütende Proteste der betroffenen Berufsgruppen aus. Dazu gehören auch Allgemeinärzte.
Obulus für das Allgemeinwohl
Tatsächlich wäre es nur fair, auch LLP-Partnern Beiträge zur National Insurance abzuverlangen. Anders als viele Baristas können sie sich diesen Obulus für das Allgemeinwohl leisten.
