Im BlickfeldSanktionen

Westliche Flugzeuge fliegen nach wie vor in Russland

Kaum ein Sektor wurde so sehr mit Sanktionen belegt wie Russlands zivile Luftfahrt. Aber eineinhalb Jahre nach Kriegsbeginn sind die Maschinen von Airbus und Boeing noch immer im Einsatz. Neue Daten zeigen, wie Russland zu den benötigten Ersatzteilen kommt.

Westliche Flugzeuge fliegen nach wie vor in Russland

Westliche Flugzeuge fliegen nach wie vor in Russland

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Von Eduard Steiner, Moskau

Hoch über Moskau: Der Blick aus einem Flugzeugfenster auf das Novodevichy-Kloster.

Kaum ein Sektor wurde so sehr mit Sanktionen belegt wie Russlands zivile Luftfahrt. Doch die Maschinen von Airbus und Boeing sind noch immer im Einsatz. Neue Daten zeigen, wie Russland zu den Ersatzteilen kommt.

Am Anfang standen die Sanktionen. Und schon bald folgten die Warnungen. Die zivile Luftfahrt in Russland sei nicht mehr sicher, erklärte die International Civil Aviation Organization (ICAO), eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen, bereits im Juni vergangenen Jahres, ehe sie kurz darauf Russland überhaupt aus dem Entscheidungsgremium ausschloss. Damit war Russland auf den Sicherheitsstatus von Butan oder Kongo zurückgefallen. Zuvor hatten die USA, die EU und andere Verbündete als Reaktion auf den Angriffskrieg gegen die Ukraine die Sperrung ihres Luftraums für Flüge aus Russland verfügt. Auch wurde Herstellern wie Boeing und Airbus sowie Leasingfirmen verboten, Ersatzteile oder neue Flugzeuge nach Russland zu liefern, solche zu versichern oder zu warten. Ein Schlag, wie ihn so wuchtig kaum ein anderer Wirtschaftssektor abgekriegt hat.

Doch eineinhalb Jahre nach Kriegsbeginn scheint der Effekt marginal. Zwar bleiben die direkten Flugverbindungen mit dem Westen gekappt, sodass Reisende auf Umgehungsrouten – bevorzugt über die Türkei – angewiesen sind. Aber in Russland selbst und in anderen Teilen der Welt sind die Boeing- und Airbus-Maschinen der russischen Airlines weiter im Einsatz, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Wie konnte das geschehen?

Russland war vorbereitet

Russland war auf die Aktion des Westens gefasst und hat auf seine Art mit einer Brachialmaßnahme reagiert, indem es über 400 geleaste Flugzeuge westlicher Herkunft kurzerhand beschlagnahmte und die Rückgabe an die Besitzer untersagte. Auf bis zu 10 Mrd. Dollar belaufe sich der Schaden für die über 40 Leasingfirmen, berichtete kürzlich die Nachrichtenagentur Reuters und führte aus, in welchem juristischen Kampf die Leasingfirmen teils mit russischen Versicherern, globalen Rückversicherern, russischen Airlines und dem russischen Staat aufgerieben werden.

Dass die Flugzeuge weiter fliegen können, hat nicht zuletzt mit dem Parallelimport von Ersatzteilen zu tun, der trotz intensivierter Kontrollen nach wie vor stattfindet, sogar mehr als im vergangenen Jahr. Laut einer aktuellen Recherche des russischen Investigativmediums „Vjorstka“ auf Basis russischer Zolldaten haben die vier größten russischen Fluglinien in den ersten sechs Monaten dieses Jahres – fast ausschließlich westliche – Ersatzteile im Wert von 110 Mill. Dollar ins Land holen können. Wie bei anderen sanktionierten Waren erfolgte auch hier die Lieferung vorwiegend über China und die Vereinigten Arabischen Emirate.

Florierender Ersatzteilhandel

Nicht immer sind die Fluglinien selbst die Importeure. Besonders hervor tut sich ein kleineres russisches Unternehmen namens „Protektor“, dessen Umsatz bereits im vergangenen Jahr um ganze 1.000% in die Höhe geschnellt ist und das dieses Jahr Flugzeugersatzteile für 61 Mill. Dollar importiert hat – darunter sechs Motoren im Wert von 1,9 bis 10 Mill. Dollar das Stück.

Was der Handel mit Ersatzteilen allein nicht schaffen kann, schafften andere Methoden. Das Softwareupdate von Boeing oder Airbus konnten zwar auch sie nicht gänzlich ersetzen, und Airbus erklärte schon im Februar, dass russische Airlines zunehmend Schwierigkeiten mit der Organisation fehlender Ersatzteile hätten. Aber in der Not wurden Airbus-Flugzeuge etwa zur Reparatur in den Iran geflogen, wie die russische Fluglinie Aeroflot bekannte. Es wurden auch gebrauchte Flugzeuge von dort und aus China gekauft. Zudem wurde ein Teil der beschlagnahmten westlichen Flugzeuge ausgeschlachtet, wie Luftbilder von Flughäfen zeigten.

Zwar schrumpft dadurch die Flotte, zumal auch die eigenen russischen Flugzeugbauer bislang auf westliche Komponenten angewiesen sind. Aber das Zusammenwirken aller Maßnahmen erklärt, wie die russischen Fluglinien das Passagieraufkommen stemmen können.

Dieses erforderte in gewöhnlichen Zeiten schon weit über 1.000 Binnenflüge pro Tag und schnellt in der Urlaubssaison wieder hoch. Neben innerrussischen Urlaubsdestinationen, die gerade von Staatsdienern bevorzugt werden, findet auch auf ausländische Destinationen wieder ein Ansturm statt. Einem Bericht der türkischen Tageszeitung „Hürriyet Daily News“ zufolge werden in diesem Jahr – so wie schon 2019 – etwa sieben Millionen Russen in der Türkei Urlaub machen.

Von den dafür nötigen bis zu 1.200 Flügen pro Woche werden 750 von russischen Airlines abgewickelt, sagte Dmitrij Gorin, Vizepräsident des Verbands der russischen Tourismusindustrie, schon im April zu „Hürriyet“. Auch wenn diese Prognose überhöht sein könnte, ändert dies nichts daran, dass die russische Flotte im Grunde funktioniert.

Wie sich allerdings der Konflikt mit den westlichen Leasingfirmen lösen wird und wer den Hauptschaden der 10 Mrd. Dollar wird tragen müssen, ist noch unklar. Die Versicherer und internationalen Rückversicherer bestehen darauf, dass die Angelegenheit vertragsgemäß vor russischen Gerichten ausgefochten wird, wie Reuters mit Verweis auf Insider berichtet. Dabei gehe es juristisch auch um die Spitzfindigkeit, ob die Kämpfe in der Ukraine als Krieg oder – wie vom offiziellen Russland propagiert – als „militärische Spezialoperation“ gelten.

Zähe Verhandlungen

Die Leasingfirmen hingegen würden den Rechtsstreit gern im Westen austragen. Doch verhandeln sie parallel dazu auch mit den russischen Airlines weiter, ob und wie diese die beschlagnahmten Flugzeuge doch noch kaufen könnten. Die Erlaubnis der EU und der USA dazu besteht im Rahmen der Sanktionen, sofern der Leasingvertrag vor Kriegsbeginn unterzeichnet wurde und alle Leasingzahlungen getätigt wurden. Zuletzt ist insofern Bewegung in die Causa gekommen, als der russische Staat Ende Juli aus der eisernen Reserve des Staatsfonds 300 Mrd. Rubel (2,93 Mrd. Euro) für den Kauf von 80 bis 90 beschlagnahmten Flugzeugen zur Verfügung zu stellen begann. Aeroflot hat bereits Geld für den Erwerb von zehn Boeing 777-300ER bekommen.

Wird das den Konflikt lösen? Einem Bericht der russischen Tageszeitung „Kommersant“ zufolge herrscht jedenfalls Unruhe unter den Airlines, weil die Kriterien für die staatliche Finanzhilfe fehlen und die 300 Mrd. Rubel genauso wenig reichen dürften wie die Zeit zur Umsetzung. Die EU hat nämlich die Genehmigung zum Kauf der Flugzeuge per 30. September befristet.

| Quelle:
BZ+
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