Cum-ex-Komplex

Wie ein Moorbrand

Erinnern Sie sich noch an den Moorbrand von Meppen? Über Wochen beschäftigten im Herbst 2018 die immer wieder auflodernden Flammen auf einem Übungsgelände der Bundeswehr die Spezialisten der Feuerwehr, denen es unter großer Anteilnahme der lokalen...

Wie ein Moorbrand

Erinnern Sie sich noch an den Moorbrand von Meppen? Über Wochen beschäftigten im Herbst 2018 die immer wieder auflodernden Flammen auf einem Übungsgelände der Bundeswehr die Spezialisten der Feuerwehr, denen es unter großer Anteilnahme der lokalen und überregionalen Medien einfach nicht gelingen wollte, die unterirdischen Schwelbrände in den Griff zu bekommen. Die Aufarbeitung der unter dem Stichwort Cum-ex zu­sam­mengefassten Gaunereien mit Steuergeld, in die sich auch namhafte Adressen der deutschen Kreditwirtschaft verstrickt haben, droht ein vergleichbar unangenehmer Dauerbrenner zu werden.

Deutlich wurde das zuletzt bei der lang erwarteten Eröffnung des Strafprozesses gegen den prominenten Steueranwalt Hanno Berger und weitere Angeklagte vor dem Landgericht Wiesbaden. Obwohl sich die mit den Ermittlungen befasste Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt zugutehält, dass sie es war, die bundesweit als erste Anklage im Cum-ex-Komplex erhoben hat, dauerte es beinahe drei Jahre bis zur Verfahrenseröffnung. Die Corona-Pandemie ist nur einer von vielen Gründen, die zu dieser Verzögerung führten.

Einer der ursprünglich sechs Angeklagten ist zwischenzeitlich verstorben, ein anderer kann wegen der Reisebeschränkungen unter Umständen nicht aus seiner irischen Heimat anreisen, ein weiterer ist flüchtig, und Berger selbst, den die Staatsanwaltschaft vollmundig als „Spiritus Rector“ aka treibende Kraft der Geschäfte zulasten des Fiskus bezeichnet, lebt in der Schweiz und hofft offensichtlich darauf, dass diese eine Auslieferung nach Deutschland verweigert. Als das Verfahren nach zwei Terminverschiebungen und der Abtrennung der im Ausland lebenden Angeklagten dann schließlich doch eröffnet wird, sitzen nur noch zwei frühere Privatkundenberater der HVB auf der Anklagebank. Sie berufen sich darauf, lediglich kleine Rädchen im Getriebe gewesen zu sein, die das große Ganze nicht überblickt hätten.

Zwar ist die Frankfurter Staatsanwaltschaft froh, dass nun überhaupt etwas von dem verhandelt wird, was sie in akribischer Ermittlungsarbeit über die Geschäfte zulasten der Steuerkasse herausgefunden hat. Doch zur Aufarbeitung dieses schwarzen Kapitels der jüngeren Bankengeschichte dürfte das Verfahren kaum beitragen. Denn die milliardenschweren Aktiengeschäfte, deren einziger Zweck nach Ansicht der Staatsanwaltschaft die Produktion falscher Steuerbescheide war, wurden ja nicht im Auftrag und auf Rechnung der HVB getätigt. Von den daraus resultierenden Steuererstattungen in Millionenhöhe profitierte vielmehr der verstorbene Raphael T., ein vermögender Investor und Kunde des Wealth Managements der HVB. Unter der Regie Bergers, dessen zweifelhaftes Verdienst es war, das von Banken bereits seit einiger Zeit betriebene Cum-ex-Modell ins gehobene Privatkundengeschäft zu übertragen, verstanden es die beteiligten Kundenberater und die mitangeklagten Trader nach Ansicht der Staatsanwälte, die Geschäfte so zu verschleiern, dass ihre Natur dem Vorstand der Bank verborgen blieb.

Damit stellt sich die Sachlage grundlegend anders dar als im Fall der deutschen HSBC-Tochter, der kurioserweise zeitgleich mit der Prozess­eröffnung in Wiesbaden wieder in das Gedächtnis der Öffentlichkeit rückte. Hier steht die Bank selbst unter dem Verdacht, sich auf Kosten der Steuerzahler bereichert zu haben. Die noch nicht abgeschlossenen Ermittlungen richten sich daher auch gegen den damaligen Vorstandschef Andreas Schmitz, der die auf falschen Angaben basierende Steuererklärung unterzeichnet hatte. Dass die HSBC und die HVB wie die Mehrzahl der beteiligten Institute die auf zweifelhafte Weise eingenommenen Erträge längst zurückgezahlt haben, ist strafrechtlich nicht relevant. Publik wurden die Ermittlungen gegen Schmitz als Person erst, weil Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) dessen Wahl zum Aufsichtsratsvorsitzenden der teilstaatlichen Commerzbank verhindern wollte. Aufsichtsräte und Vorstände im Visier der Staatsanwaltschaft oder gar vor Gericht sind jedoch nicht bloß für verstaatlichte Banken problematisch. In Frankfurt laufen derzeit Ermittlungen mit Cum-ex-Bezug in 13 weiteren Fällen, in Köln sind es 79 Fälle. Wie der gut brennbare Torf bei einem Moorbrand kokeln diese unter der Oberfläche vor sich hin, bis mal wieder eine Razzia publik wird oder Anklage erhoben wird. Die Anteilseigner von Banken müssen daher darauf gefasst sein, dass die Besetzung von Management- und Kontrollgremien eine volatile Angelegenheit sein kann.