Wie Influencer-Marketing den Kapitalmarkt erreicht
Vom Kosmetik-Tutorial zur Konzernstrategie
Unternehmen setzen zunehmend auf Influencer. Die Budgets steigen, der Erfolg von Influencer-Kampagnen ist inzwischen messbar. Neue Kunden zu gewinnen steht im Fokus.
Von Nadine Klees, Frankfurt
Eine junge Frau dreht sich in Abendkleidern vor der Kamera. Ihr Name ist Programm: Bei Claude Beauty geht’s um Schönheit, Mode, Lifestyle. In einem Video erzählt sie von ihren Hochzeitsvorbereitungen und ganz nebenbei fällt der Markenname „Nivea“. Was wie die Empfehlung einer Freundin wirkt, bezahlen Konzerne wie Beiersdorf je nach Reichweite sehr gut. Mit den kurzen Videos – im Fachjargon „Reels“ genannt – können Influencer mehrere Hundert bis mehrere Tausend Euro pro Stück verdienen.
Branche wird immer professioneller
Konzerne lassen sich Influencer Marketing immer mehr kosten, die ganze Branche professionalisiert sich zunehmend. Es geht nicht mehr nur um Aufmerksamkeit und Imagepflege – der Erfolg der Kampagnen ist immer besser messbar. Auch Beiersdorf bestätigt: Influencer Marketing spiele eine wichtige Rolle, die Budgets seien in den vergangenen Jahren „kontinuierlich gewachsen“. Beiersdorf arbeitet beim Thema Influencer Marketing mit der Social-Media-Agentur Intermate aus Berlin zusammen.
Viele Verträge geschlossen
CEO Philipp Papendieck hat aber auch Verträge mit Unilever, Meta, Mercedes-Benz und der Deutschen Post geschlossen. „Allein Unilever-CEO Fernando Fernandez steckt 50 Prozent seines Werbebudgets in Social und will die Ausgaben für Influencer Marketing verzwanzigfachen“, erzählt er. Bei anderen seien es vielleicht nur 10%. Aber generell stelle er fest, dass die Verantwortlichkeit der Firmenstrategie in diesem Bereich immer häufiger im Topmanagement angesiedelt sei.
Und auch wenn Analysten das Thema bisher nicht gesondert auf dem Zettel haben und eher allgemein auf die Marketingstrategie blicken, sagt Papendieck: „Gerade Unternehmen, die sich auf einen Börsengang vorbereiten, kommen immer häufiger zu uns und wollen schnell ihr Influencer Marketing ausbauen, um sich zukunftsfähig aufzustellen.“
Kosten können siebenstellig werden
Zum Teil lassen sich die Konzerne entsprechende Kampagnen auf Social Media siebenstellige Beträge kosten. Dafür haben sie natürlich auch Erwartungen. Den Unternehmen gehe es vor allem um Neukundengewinnung, erklärt Christoph Kastenholz, Co-Founder und Co-CEO der Hamburger Influencer Marketing Agentur Pulse Advertising. Auch Kastenholz betreut namhafte Kunden wie BMW, Nestlé, Blackrock, Telekom, H&M oder Hugo Boss. „Früher wurde Social Media eher wie PR behandelt, weil es einfach nicht messbar war.“ Aber die Zeiten hätten sich geändert.

Pulse Advertising misst unter anderem, wie viele Neukunden sie den Konzernen bringen. Die Neukundenquote bei Kampagnen liege im Schnitt bei 70%. Das heißt, 70% von denen, die die Kampagnen sehen und etwas kaufen, sind Neukunden. Zählen könne man das entweder über Links, wenn Produkte verlinkt werden oder wenn die Influencer mit Codes arbeiten. Das heißt, die Käufer geben beim Kauf auf einer Webseite einen Rabattcode ein, der eindeutig einem Influencer zugeordnet werden kann.
Eine weitere wichtige Größe für die Unternehmen sei die Customer Acquisition Cost – wie viel kostet es, einen Neukunden zu akquirieren? Darüber hinaus hat die Agentur einen Algorithmus entwickelt, der ausgerechnet hat, dass pro investierten Dollar in Influencer Marketing der „Media Value“ um 7 bis 12 Dollar steigt. Dabei setze man ins Verhältnis: „Was habe ich investiert und was bekomme ich? Reichweite und Interaktionen über Käufe.“
Auch Intermate entwickelt eigene Mechanismen, wie Erfolge sichtbar gemacht werden. Dafür hat Intermate sogar einen Professor für Data Science angeheuert. Dabei werde geschaut, wie oft der Beitrag geteilt oder geliked wird, aber auch, wie viele und welche Kommentare darunter stehen. Das alles werde in Relation gesetzt.
Erst eine Entwicklung der vergangenen Jahre
Dass heute kluge Köpfe an Influencer-Kampagnen feilen und berechnen, welchen Einfluss sie auf die Erlöse von Konzernen haben können, war vor zehn Jahren noch kein Thema. Kastenholz erinnert sich an die Anfangszeit seiner Social & Influencer Marketing Agentur im Jahr 2014. Damals musste er noch Klinken putzen. Er rief selbst potenzielle Kunden an und bekam mehr als einmal zu hören: „Wir brauchen kein Influencer Marketing“ oder „Instagram ist nicht relevant für uns.“ Mittlerweile hat sich der Wind gedreht. Die Zahl der Anfragen an seine Agentur ist groß, „wir lehnen heute viele Kunden ab“, erklärt er. Aktuell betreut die Agentur nach eigenen Angaben rund 100 Kunden.
Die Agentur Intermate möchte sich dagegen nicht zu Kundenzahlen äußern. Auch die Konzerne selbst sind in Bezug auf Zahlen wie erwartet zurückhaltend. Nur Hugo Boss antwortet auf Anfrage, dass das Unternehmen mit mehr als 10 Millionen Influencern auf sämtlichen sozialen Plattformen zusammenarbeite.
Mode und Kosmetik stehen im Zentrum
Natürlich bieten sich gerade Mode und Kosmetik perfekt für Social Media an. Das Creme-Video von Claude Beauty haben bisher mehr als 200.000 Menschen gesehen. Aber wer denkt, dieses Influencer-Ding sei ein reines Beauty-Thema, der irrt. Einer der Kunden von Pulse Advertising ist Blackrock. Die US-Investmentgesellschaft bringt über die Agentur Intermate ihre ETFs der jüngeren Generation über Youtube-Videos näher.
Influencer sind mittlerweile sehr wichtig für Unternehmen geworden. Ein Indiz dafür ist, dass das Thema immer wieder in den Geschäftsberichten auftaucht. Auffallend häufig ist das beim französischen Konsumgüterkonzern L’Oréal der Fall. Der Konzern erklärt dazu auf Anfrage: „Da Influencer Marketing ein fester und immer größer werdender Bestandteil unseres Marketing-Mixes ist und wir dementsprechend investieren, nimmt der Bereich auch in der Betrachtung verschiedener Stakeholder, wie Investoren und Analysten, einen immer wichtigeren Stellenwert ein.“
Risiken häufig genannt
Besonders häufig wird das Thema im Geschäftsbericht des Pariser Konzerns in Zusammenhang mit Risiken erwähnt. Natürlich müssen Konzerne auch darauf achten, dass Influencer nicht der Marke schaden. Ein prominentes Beispiel – in diesem Fall mit einem Promi-Influencer – ist Adidas. Der Sportartikelhersteller hatte bis Oktober 2022 mit Skandalrapper Kanye West zusammengearbeitet, bis West mehrfach mit rassistischen und antisemitischen Äußerungen auffiel.
Da Unternehmen bei ihren zahlreichen Influencern nicht jegliche Kommunikation im Netz verfolgen können, gibt es Kontrollmechanismen. Zum Beispiel Bild- und Texterkennung für Kommentare unter den Posts: Ob sich zum Beispiel jemand zur AfD geäußert hat. Einige Konzerne versuchen deshalb auch, Inhalte stärker zu kontrollieren. Das ist allerdings schwierig, weil das Geschäft mit Influencern genau davon lebt: Dass Claude Beauty einfach das empfiehlt, was sie selbst mag – mit ihren eigenen Worten und ihrem eigenen Stil.