LEITARTIKEL

Wolfsburger Wagenburg

Warum hält Volkswagen so lange an Aufsichtsratschef Hans-Dieter Pötsch fest? Die Frage ist in den vergangenen Jahren immer wieder in den Vordergrund gerückt und dürfte mit der Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft Braunschweig auch nicht mehr...

Wolfsburger Wagenburg

Warum hält Volkswagen so lange an Aufsichtsratschef Hans-Dieter Pötsch fest? Die Frage ist in den vergangenen Jahren immer wieder in den Vordergrund gerückt und dürfte mit der Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft Braunschweig auch nicht mehr weggehen. Angesichts der jüngsten Entwicklung sollte indes nicht in Vergessenheit geraten, dass es mannigfaltige Gründe gegeben hatte, warum Pötsch – wenn auch aus der Corporate-Governance-Perspektive mehr als fragwürdig – aus Konzernsicht zunächst der logische Aufsichtsratschef im Herbst 2015 war. So ist Pötsch im Unternehmen bestens vernetzt und genießt bei allen Stakeholdern hohen Respekt. Das gilt für den mächtigen Betriebsrat ebenso wie für die Eigentümerfamilien Porsche und Piëch sowie das Land Niedersachsen. Zudem stand er im Dieselskandal, der im September 2015 bekannt wurde, als Finanzvorstand nicht im Verdacht, über den technologischen Betrug der VW-Ingenieure im Bilde gewesen zu sein. Dass VW Pötsch in der Stunde der Krise einem Außenseiter, der aufgrund der besonderen Verhältnisse in Wolfsburg monatelange Einarbeitungszeit gebraucht hätte, vorzog, ist daher nachvollziehbar. Zeit schien angesichts des Tempos, das die US-Behörden vorlegten, ein rares Gut.Mittlerweile wirkt diese Entscheidung in der Retrospektive wie so manches überhastet. Das gilt auch für die exorbitant teuren, sehr schnell geschlossenen Vergleiche mit den amerikanischen Behörden. So hätte die Frage, die nun vor Gericht geklärt werden soll – ob der VW-Vorstand nämlich seine Informationspflichten gegenüber den Aktionären verletzt habe – schon damals auf die Agenda gehört und schon die Möglichkeit ein gewichtiges Argument und wohl auch Ausschlusskriterium gegen Finanzvorstand Pötsch sein müssen. Dass dieser sich in der Sache unschuldig sieht, hat er zwar durchaus glaubhaft versichert. Doch ist dies nur ein Teil der Problematik. Denn mit der Bewertung der eigenen Handlungen, die der Aufsichtsrat insgesamt teilt, ist auch der aktuelle Vorstandsvorsitzende Herbert Diess aus dem Schneider – zumindest konzernintern. Laut § 84 Aktiengesetz obliegt Berufung und Abberufung des Vorstands dem Aufsichtsrat, der eine Berufung widerrufen kann, wenn etwa eine grobe Pflichtverletzung vorliegt. Bei VW zieht man sich bei solchen Entscheidungen gerne auf die Unschuldsvermutung zurück. So brauchte es beim ehemaligen Audi-Chef Rupert Stadler schon eine längere Untersuchungshaft und extrem belastende Indizien, ehe man sich zum Handeln genötigt sah. Damit liegt die Latte des Nachweises einer Pflichtverletzung bei VW extrem hoch. Denn eine grobe Pflichtverletzung kann schließlich auch vorliegen, ohne dass tatsächlich strafrechtlich Relevantes vorgefallen ist. Doch wie sollte Pötsch zu einer solchen Einschätzung in Bezug auf Diess kommen, wenn er sich selbst von jedem Fehlverhalten freispricht? Pötschs Einschätzung ist also für Diess wenig wert und mehr be- als entlastend. Dem VW-Chef wäre mit einem anderen Aufsichtsratschef besser gedient, wenn er denn im Fall einer Zulassung der Anklage weiterarbeiten wollte. Denn operativ ist dem in München geborenen Österreicher Diess, der nicht nur beim Betriebsrat, sondern zuweilen auch bei Wettbewerbern und der Politik aneckt, nach eineinhalb Jahren wenig vorzuwerfen. Er hat die verkrusteten Strukturen aufgebrochen und das Unternehmen mit Macht in der Elektromobilität vom Zuschauer zum Hauptdarsteller gemacht. Selbst der traditionellen Autobauern wenig Respekt zollende Tesla-Chef Elon Musk bescheinigte VW zuletzt, mehr als jeder andere große Autobauer für die Elektrifizierung zu tun.——Von Sebastian SchmidBei VW haben sich die Reihen mit der Anklage gegen ihre Spitzenmanager weiter geschlossen. Konzernchef Herbert Diess scheint unverzichtbar.——