Unterm Strich: Staatsverschuldung

Zahlmeister Next Generation

Deutschland macht immer mehr Schulden. Aber eine noch viel größere Belastung künftiger Generationen stellt die steigende implizite Verschuldung dar.

Zahlmeister Next Generation

Deutschland atmet auf. Die Corona-Inzidenz ist nahe dem einstelligen Bereich, die beginnenden Sommerferien und wieder mögliche Urlaubsreisen im In- und Ausland versprechen nach Monaten des Lockdowns das Gefühl zurückkehrender Normalität. Ein trügerisches Bild. Zum einen könnte das Urlaubsmitbringsel der Deutschen die Virusvariante Delta sein und im Herbst für die nächste Coronawelle sorgen, ganz sicher aber werden die finanziellen Folgen der Pandemie und ihrer Bekämpfung nicht nur in diesem Jahr die öffentlichen und privaten Haushalte schwer belasten, sondern auch im Jahr 2022 und den Folgejahren. Während aber die neuesten Inzidenzzahlen fester Bestandteil der täglichen Nachrichtensendungen geworden sind, muss man schon die Homepage des Bundes der Steuerzahler aufrufen, um die sich munter drehende Schuldenuhr zu sehen.

Explizit und implizit

Doch auch die dort immer höher steigende Zahl der sogenannten expliziten Staatsverschuldung ist nur die halbe Wahrheit. Viel gefährlicher und belastender für die Zukunft ist die implizite Staatsverschuldung, nämlich die Differenz aus allen in den nächsten Jahren an Staat und Sozialversicherungen fließenden Einnahmen und Ausgaben. Explizite und implizite Schulden zusammen stellen die sogenannte Nachhaltigkeitslücke des Gesamtstaates dar, also aller Gebietskörperschaften und Sozialversicherungen.

Diese Lücke dürfte sich in Deutschland aller Nachhaltigkeitsrhetorik zum Trotz seit Ausbruch der Pandemie von 220% des BIP im Jahr 2019 auf bereits 357% für das Jahr 2020 vergrößert haben, haben die Ökonomen des Forschungszentrums Generationenverträge der Universität Freiburg und der Stiftung Marktwirtschaft errechnet. Dabei hatten vor der Pandemie die disziplinierte Haushaltspolitik („Schwarze Null“) in Kombination mit solidem Wirtschaftswachstum und hoher Beschäftigung die Nachhaltigkeitslücke aus expliziter und impliziter Staatsschuld bis 2018 unter die Marke von 200% gedrückt. Ein Niveau, das es zuletzt 2008 vor Ausbruch der Finanzkrise gegeben hatte. Entsprechend bescheinigte sich die Bundesregierung im April vorigen Jahres im Tragfähigkeitsbericht des Finanzministeriums zur Fiscal Sustainability eine gute Ausgangslage, um die damals noch nicht absehbaren Pandemiekosten und die bereits vorhersehbaren Belastungen aus dem herannahenden Renteneintritt der Babyboomer-Generation schultern zu können.

Vor einer Woche hatte ich an dieser Stelle über die tickende Zeitbombe im deutschen Rentensystem geschrieben und festgestellt, dass die gesetzliche Rentenversicherung weder nachhaltig noch generationengerecht konstruiert und finanziert ist. Leider gilt dies auch für die staatlichen Finanzen insgesamt seit Ausbruch der Pandemie. Dass unmittelbar nach Ausbruch im Frühjahr 2020 schnelle finanzielle Hilfe des Staates nötig war, ist unstreitig.

Dass aber im Jahr zwei der Pandemie der Staat immer noch mit dem Füllhorn durch die Lande zieht, obwohl in vielen Bereichen die Normalität zurückkehrt und die Wirtschaft wieder brummt, ist dem Missbrauch der Pandemielage durch Politiker geschuldet, die um Wählerstimmen buhlen und unter dem Schirm der Coronabekämpfung Umverteilungspolitik treiben. Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse wird nicht nur für 2020 und 2021 ausgesetzt, was nachvollziehbar ist, sondern gleich auch noch für 2022. Und Bundesfinanzminister Scholz lässt mal so eben in nur zwei Monaten die für 2022 zunächst geplante Nettokreditaufnahme von 81,5 Mrd. auf nun voraussichtlich 100 Mrd. Euro hochlaufen (vgl. BZ vom 18. Juni). Allein die Steigerung wäre deutlich mehr, als der Staat üblicherweise in normalen Zeiten insgesamt an neuen Schulden aufnehmen darf, nämlich 0,35% des Bruttoinlandsprodukts (BIP), mithin 12 Mrd. Euro. 2020 hatte der Bund eine Neuverschuldung von 130 Mrd. Euro, für 2021 sind 240 Mrd. Euro geplant.

Ungebremst

Der sich gern als seriöser Haushalter gebende Finanzminister hat offenkundig Gefallen am unlimitierten Geldausgeben gefunden. Nach dem Motto „wenn schon, denn schon“ hat er die Schuldenbremse mit Zustimmung des Koalitionspartners CDU auch für 2022 suspendiert. Scholz, der lange Zeit die Schuldenbremse gegen Attacken aus der eigenen Partei verteidigt hatte, musste nämlich erkennen, bei diesem Thema von Kanzleramtsminister Helge Braun und CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier links überholt zu werden.

Stand heute liegt die pandemiebedingte Mehrbelastung der Staatsfinanzen vollständig bei den zukünftigen Generationen. Und die Bereitschaft von Bürgern und Politikern, den Gürtel schon heute enger zu schnallen, ist nicht erkennbar. Im Gegenteil scheinen viele Menschen die staatlichen Spendierhosen als „Entschädigung“ für die coronabedingten Einschränkungen des Alltags anzusehen.

Außerhalb der Statistik

Nun ist nicht jede Neuverschuldung per se eine Belastung künftiger Generationen. Investitionen in staatliche Infrastruktur, in Bildung oder auch den Umweltschutz können sich volkswirtschaftlich rentieren und Grundlage für Wachstum, Produktivität und Lebensqualität in der Zukunft sein. Aber ein Anstieg der expliziten und vor allem der kaum sichtbaren impliziten Verschuldung bedeutet immer die Einschränkung fiskalischer Handlungsspielräume in der Zukunft und ist damit weder nachhaltig noch generationengerecht. Es grenzt an Zynismus, beispielsweise die zusätzlichen Schulden für die jetzt in der Genehmigung befindlichen 390 Mrd. Euro Transferzahlungen des EU-Wiederaufbaufonds nicht in die Schuldenstatistik und damit die (aktuell ausgesetzten) Maastricht-Kriterien aufzunehmen, diesen Fonds aber „Next Generation EU“ zu nennen. Es sei denn, man wollte damit zum Ausdruck bringen, wer am Ende die Rechnung zu zahlen hat.

c.doering@boersen-zeitung.de