Zerstörerische Entwicklung
Zerstörerische Entwicklung
IWF-Jahrestagung
Zerstörerische Entwicklung
Von Martin Pirkl
Der Trend zu
Protektionismus
vernichtet Wohlstand. Die USA dienen als Negativbeispiel, doch auch Europa ist kein Musterschüler.
Ziemlich genau ein halbes Jahr nachdem US-Präsident Donald Trump den Welthandel mit seinen Zöllen in den Grundfesten erschüttert hat, präsentierte der Internationale Währungsfonds auf seiner Jahrestagung diese Woche positive Nachrichten. Der Handelsstreit hat der Weltwirtschaft bislang deutlich weniger zugesetzt als befürchtet und auch die Auswirkungen auf die Inflation dürften kleiner ausfallen als erwartet.
Aus dem Konflikt lassen sich zwei Lehren ziehen. Erstens, Trumps Politik stößt bei vielen auf fundamentale Ablehnung, gerade in Europa. Kein Wunder, schließlich untergräbt er rasend schnell demokratische Prozesse in den USA, und seine Wirtschaftspolitik steht im Widerspruch zu Erkenntnissen aus der Wissenschaft. Seine Politik polarisiert und emotionalisiert, was auch in Washington auf der Tagung in Diskussionen hier und da deutlich wurde. Doch bei aller berechtigten Kritik, lohnt es sich immer wieder mal innezuhalten und mit weniger Emotionen auf die US-Politik zu blicken. Zumindest manches entpuppt sich dann als weniger schwerwiegend als zunächst befürchtet.
Geringeres Wachstumspotential
Zweitens, die Zölle mögen sich weniger negativ auf die Weltwirtschaft ausgewirkt haben, schädlich sind sie trotzdem. Mit am stärksten betroffen sind die USA selbst. Die Globalisierung hat zwar viele Schattenseiten wie Umweltverschmutzung oder problematische Abhängigkeiten zwischen Staaten. Doch sie ist das Fundament für unseren Wohlstand – nicht nur in Industriestaaten. Auch Entwicklungs- und Schwellenländer gehören zu den Gewinnern. Der Trend zu mehr Protektionismus ist daher falsch. Die USA dienen nicht nur wegen der Zölle als Negativbeispiel. Der IWF hat wegen der restriktiven Einwanderungspolitik jüngst die Schätzung für das Potentialwachstum gesenkt. Ohne die ausländischen Arbeitskräfte lassen die Vereinigten Staaten Wohlstand liegen.
Bundesfinanzminister Lars Klingbeil betonte auf der Jahrestagung, dass Deutschland einen anderen Weg gehen wolle. Während viele Staaten auf Abschottung setzen, baue Deutschland auf internationale Kooperationen. Doch auch Deutschland und die EU taugen nicht als Musterschüler. In der staatenübergreifenden Zusammenarbeit haben die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union viel Verbesserungspotential. Wenn Jahr für Jahr Entscheider aus der Finanzbranche und der Politik in Washington zusammentreffen, ist die Vollendung des Binnenmarktes und der Bankenunion ein Dauerthema. Getan hat sich dennoch wenig.
Interne Handelshürden
Die inneuropäischen Handelshürden etwa durch unterschiedliche nationale Regularien bremsen die Wirtschaft der Eurozone stärker aus, als es die US-Zölle tun. Nach Analysen des IWF wirken diese Handelshindernisse wie ein europäischer Binnenzoll auf Waren von 44% und auf Dienstleistungen von sage und schreibe 110%. Wenn man dann noch bedenkt, dass die EU-Mitglieder mehr Handel untereinander betreiben als mit irgendeinem Staat außerhalb der Staatengemeinschaft, wird der durch die Handelsbarrieren entstehende Wohlstandsverlust umso deutlicher.
Wenn Europa international beim Wirtschaftswachstum aufholen will, braucht es mehr staatenübergreifende Zusammenarbeit, die nicht selten auch am Protektionismus der EU-Mitgliedsstaaten scheitert. Ohne Banken- , Spar- und Investitionsunion werden auch in Zukunft die allermeisten vielversprechenden Startups auf der Suche nach Kapital ihren Blick in die USA werfen.
Ein weiteres Feld ist seltener im öffentlichen Fokus als die Vertiefung der Bankenunion. Auch bei den Energiepreisen, die gerade der deutschen Industrie zu schaffen machen, kann mehr Europa enorm helfen. Die Vollendung eines Energiebinnenmarktes würde nicht nur die Versorgungssicherheit erhöhen. Da Energie dann verstärkt dort produziert wird, wo es gerade am günstigsten ist, sinken zudem die Preise. Europa muss bei der Zusammenarbeit endlich große Fortschritte machen, dann präsentiert der IWF auch wieder üppigere Wachstumsprognosen.