Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
THYSSENKRUPP
Anspruch und Wirklichkeit
Von Annette Becker
Die euphorischen Worte der Thyssen-Chefin wollen so gar nicht zu den Zahlen aus dem Zwischenbericht passen.
Zwischen den euphorischen Worten des Vorstands und den harten Fakten des Zwischenberichts klafft bei Thyssenkrupp eine große Lücke. Denn die „robuste Geschäftsentwicklung“, die Vorstandschefin Martina Merz bejubelt, hält dem Zahlentest nicht stand. Unter dem Strich ist der Traditionskonzern in die roten Zahlen gerutscht, die Stahlsparte hat im Berichtsquartal einen Verlust geschrieben und im Werkstoffgeschäft ist der Ergebnisbeitrag weiter abgeschmolzen.
Sicher, Automotive Technology hat das Ergebnis verbessert und auch die Abwicklungseinheit Multi Tracks hat erstmals seit Bestehen einen positiven Ergebnisbeitrag abgeliefert. Das täuscht jedoch nicht darüber hinweg, dass die vor drei Jahren in die Wege geleitete Transformation noch keinen messbaren Profitabilitätssprung bewirkte. Im Gegenteil: Die Umsatzrendite auf das bereinigte operative Ergebnis ist im Konzern im ersten Halbjahr auf 1,9% zusammengeschrumpft.
Hoffnungsfroh stimmen einzig die gestiegenen Bestell- und Absatzmengen in den stahlnahen Geschäften sowie gestiegene Auftragseingänge in den Industriesparten. Ob sich daraus allerdings schon ein Trend für das zweite Halbjahr ableiten lässt, ist angesichts der vielfältigen geopolitischen und konjunkturellen Unsicherheiten eine gewagte Prognose. Zumal die vor Monaten aufgestellte Zielsetzung für das Gesamtjahr, die schon damals keine Begeisterungsstürme auslöste, nur bestätigt wird.
Die „Fortschritte in der Transformation“, welche die scheidende Vorstandschefin Martina Merz herausstellt, und der zur Schau getragene Optimismus haben zumindest die Investoren nicht überzeugt. Die Aktie gab am Mittwoch in der Spitze erneut um 7% nach. Die Marktkapitalisierung von gut 4 Mrd. Euro entspricht nicht einmal den in der Bilanz ausgewiesenen Zahlungsmitteln und -äquivalenten von 5,8 Mrd. Euro – mehr Vertrauensverlust geht kaum.
Wenngleich Merz beteuert, dass der abrupte Wechsel an der Vorstandsspitze, der Ende des Monats vollzogen wird, den Umbau des Konzerns zu einer Group of Companies nicht bremsen werde, kommt Thyssenkrupp bei der Partnerschaftssuche für das Marinegeschäft und der geplanten Verselbständigung der Stahlsparte allenfalls im Schneckentempo voran. Wiederholt geführte Gespräche mit anderen Stahlerzeugern im In- und Ausland blieben bislang ergebnislos; der alternativ erwogene Spin-off von Steel Europe dürfte wohl vor allem an der Finanzierbarkeit des Vorhabens scheitern, selbst wenn das Geldverbrennen ein Ende gefunden haben sollte.