Inflation im Euroraum fällt überraschend deutlich
Inflation lässt überraschend stark nach
Teuerung im Euroraum unter Zielwert der EZB – Kernrate fällt kräftig – Spielraum für Zinssenkungen steigt
Die Inflation im Euroraum fällt unter den Zielwert der EZB und auch die Kernrate lässt deutlich nach. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die allseits erwartete Zinssenkung am Donnerstag nicht die letzte in diesem Jahr gewesen sein wird. Doch es gibt auch weiterhin Inflationsrisiken, auf die die Notenbank aufpassen muss.
mpi Frankfurt
Von Martin Pirkl, Frankfurt
Zum ersten Mal seit September fällt die Inflation im Euroraum wieder unter den Zielwert der EZB. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass nach der allseits erwarteten Zinssenkung der Notenbank am Donnerstag der Tiefpunkt bei den Leitzinsen noch nicht erreicht ist. Zumal auch die Kerninflation als Indikator für den zugrundeliegenden Inflationstrend im Mai stark nachgelassen hat.
Die Inflation ist nach einer Erstschätzung von Eurostat von 2,2 auf 1,9% gesunken. Ökonomen hatten im Schnitt nur einen Rückgang auf 2,0% erwartet. Günstigere Energie und ein geringerer Preisanstieg bei Dienstleistungen haben die Teuerung gedämpft. Besonders letzteres dürfte die EZB freuen. Lange Zeit verharrte die Teuerung bei Dienstleistungen bei rund 4%. Nun liegt die Inflation für Services bei 3,2%.
„Da sich die Lohndynamik abgeschwächt hat, wächst das Vertrauen in ein nachhaltiges Nachlassen des heimischen Preisdrucks“, sagte Dirk Schumacher, Chefvolkswirt der KfW. Das vergleichsweise hohe Lohnwachstum hatte in den vergangenen Quartalen zu Inflationsdruck im arbeitsintensiven Dienstleistungssektor geführt. Im ersten Quartal hatte das Wachstum der Tariflöhne im Euroraum dann aber deutlich nachgelassen.
Blick auf die Realzinsen
Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank, weist darauf hin, dass die Dienstleistungsinflation auch nach dem Rückgang im Mai auf einem relativ hohen Niveau liege. Er mahnt daher zur Vorsicht bei Zinssenkungen. Eine weitere Lockerung der EZB um 25 Basispunkte am Donnerstag gilt an den Finanzmärkten als gesetzt. Der für die Geldpolitik wichtige Einlagensatz läge dann bei 2%. Zeitnah eine weitere Zinssenkung folgen zu lassen, hält Gitzel für gefährlich. „Würde die EZB den Einlagensatz unter die Marke von 2% senken, wäre der daraus resultierende reale Leitzins negativ“, sagte er. „In Anbetracht der hartnäckig hohen Teuerung im Dienstleistungssektor würde die EZB damit zukünftige Inflationsgefahren riskieren.“
Katherine Neiss, Chefvolkswirtin für Europa bei PGIM Fixed Income, sieht hingegen größeren Spielraum für Zinssenkungen. „Sollte die Kombination aus schwacher Konjunktur und rückläufiger Inflation anhalten, dürfte es für die EZB einfacher werden, über Juni hinaus weitere Zinssenkungen vorzunehmen“, sagte sie.
Neue Projektionen der EZB
Neue Projektionen am Donnerstag werden Aufschluss darüber geben, wie die EZB den mittelfristigen Inflationsausblick beurteilt. Angesichts der Unsicherheit über den Ausgang des Zollkonflikts hat die Notenbank jedoch bereits angekündigt, dass sie neben dem Basisszenario auch Alternativszenarien veröffentlichen will.
Viele Ökonomen gehen daher davon aus, dass die EZB im Juli eine Zinspause einlegen wird und erst im September darüber urteilt, ob ein Einlagesatz unter 2% nötig sein wird. Bis dahin könnte die Notenbank nicht nur die Entwicklung in den USA weiter beobachten, sondern hätte auch eine weitere Runde an Projektionen vorliegen.
Die Ökonomen der Commerzbank erwarten, dass die Inflation im Euroraum in den kommenden Monaten um das Zwei-Prozent-Ziel der Notenbank schwanken wird. 2026 dürften ihrer Einschätzung nach eine wieder stärkere Konjunktur sowie strukturelle Faktoren die Inflation anziehen lassen. „Mittelfristig sollte der Disinflationstrend nicht nur auslaufen, sondern sich sogar wieder ins Gegenteil verkehren“, meint auch Daniel Hartmann, Chefökonom von Bantleon.