Stanley Fischer: Notenbanker, Vordenker und Vermittler
det Washington
Stanley Fischer, einer der einflussreichsten Nationalökonomen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ist am Wochenende im Alter von 81 Jahren gestorben. Der Tausendsassa, der israelische und amerikanische Staatsbürgerschaft besaß, hatte eine Karriere als Akademiker begonnen. Er wurde später zu einem der weltweit angesehensten Notenbanker. Der Volkswirt spielte Schlüsselrollen während der Finanzkrisen in den Entwicklungsländern, Asien und Russland.
Der im früheren Rhodesien geborene Fischer erwarb an der London School of Economics seinen Masters-Abschluss und promovierte an der Elite-Uni Massachusetts of Technology (MIT). Dort war er Vordenker, einer der Mitbegründer des „Neuen Keynesianismus“. Die Denkschule suchte einen Kompromiss zwischen den nachfrageorientierten, anti-zyklischen Theorien des britischen Ökonomen John Maynard Keynes und dem marktorientierten Ansatz der „Chicago Schule“.
Schmied von Kompromissen
Keynes hatte gemeint, dass der Staat in einer Krise über Ausgabenprogramme die Nachfrage ankurbeln und somit die Wirtschaft beleben kann. Während der Stagflation der siebziger Jahre waren diese Theorien aber unter Beschuss geraten. Ohne den Keynesianismus zu verwerfen, war Fischer der Auffassung, dass Preise und Löhne zäher sein können, als aufgrund "rationaler Erwartungen" anzunehmen wäre. Daraus leitete er wiederum ab, dass auch die Geldpolitik eine wichtige Rolle bei der Stabilisierung der Preise und der Wirtschaft spielen könnte.
Zwar ließe Fischers akademische Karriere allein viele Kollegen vor Neid erblassen. Gemeinsam mit Koryphäen wie dem deutschen Nationalökonomen Rüdiger Dornbusch und dem Franzosen Olivier Blanchard verfasste er Lehrbücher, die an Top-Unis noch heute zu den Standardwerken zählen. Auch war er Doktorvater prominenter Persönlichkeiten wie Ben Bernanke, der später Chef der US-Notenbank wurde.
Wechsel in die Politik
Auf der politischen Bühne profilierte sich Fischer erst später. Er war Chefökonom bei der Weltbank. Dort fiel er Michel Camdessus, dem Direktor der Schwesterorganisation IWF, auf. Camdessus berief Fischer zu seinem Stellvertreter. In dieser Funktion agierte er von 1994 bis 2001, also auch ein Jahr unter dem deutschen IWF-Chef Horst Köhler. Beliebt war der Ökonom unter Kollegen und anderen Notenbankern vor allem wegen seines ruhigen, legeren und freundlichen Verhandlungsstils. Besonders wohl fühlte er sich in der Rolle eines politischen Vermittlers. So soll Fischer vom Strand auf der Ferieninsel Martha Vinyeyard aus in einem Telefonat mit Notenbankern und Finanzministerin Vorschläge zur Lösung der russischen Schuldenkrise gemacht haben.
2005 wurde Fischer Chef der israelischen Notenbank. In Israel hatte er bereits als junger Ökonom einen wirtschaftlichen Stabilisierungsplan entworfen. Gekrönt wurde seine Karriere von US-Präsident Barack Obama. Obama ernannte den Akademiker 2014 zum stellvertretenden Fed-Vorsitzenden. In dieser Position blieb Fischer bis zu seinem Rücktritt im Jahr 2017. Er starb an einer Alzheimer-Erkrankung.