ESMA-Chefin Verena Ross

Aufsichtsbehörden aufbauen als Leidenschaft

Verena Ross ist seit 2021 Chefin der ESMA. Ihre Karriere in der Finanzaufsicht in Europa führte sie über die Bank of England und die FSA.

Aufsichtsbehörden aufbauen als Leidenschaft

Mit Leidenschaft zwei Aufsichtsbehörden aufbauen

wbr Frankfurt

Nur wenige werden sich daran erinnern, dass die deutsche Finanzaufsicht BaFin einst aus drei Behörden zusammengefügt wurde. Im Mai 2002 wurden die Aufsichtsämter für das Kreditwesen, das Versicherungswesen und den Wertpapierhandel vereint. Sehr gut weiß das noch Verena Ross, die damals in London bei der Financial Services Authority (FSA) gearbeitet hat und von deutscher Seite Anfragen zu dem Prozess erhielt. Die britische Finanzaufsicht hat nämlich eine ähnliche Geschichte und wurde ebenfalls aus mehreren Institutionen zusammengefügt. Einer der größten Merger von öffentlichen Einrichtungen im Finanzbereich, erinnert sich Ross.

Seit 25 Jahren Aufsicht

Seit rund 25 Jahren ist die geborene Hamburgerin in der europäischen Finanzaufsicht tätig. Seit Ende 2021 leitet sie als Chefin die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) in Paris. Ross stammt aus einer Kaufmannsfamilie, aus einer weltläufigen Stadt. Sie entschied sich 1987 Sinologie zu studieren. Damit schien weder der Weg in eine Finanzaufsicht noch eine Bilderbuchkarriere in öffentlichen Institutionen vorgezeichnet. Sie war vielseitig interessiert, hätte sich auch Geschichte und Archäologie vorstellen können. Mit Sinologie allein wollte sie ihr Studium nicht zu Ende bringen. Sie wechselte daher an die School of Oriental and African Studies (SOAS) nach London, da man dort Chinesisch und Volkswirtschaft im Doppelstudium absolvieren konnte.

Chinesisch als Pluspunkt

1994 startete sie ihre berufliche Laufbahn bei der Bank of England (BoE). Noch heute wundert sie sich, dass die Nationalbank Ausländer einstellte. Die Zentralbank in London war auf der Suche nach Talenten, die exotische Sprachen beherrschten und sich mit Ländern wie China auskannten. So kam Ross zur Bank of England – Aufseherin wollte sie nicht von Anfang an werden. Bei der BoE durchlief sie unterschiedliche Stationen als Volkswirtin und Analystin.

1998 entschied man sich in London, eine einheitliche Aufsicht zu schaffen. So kam Ross zu der Aufgabe, die neue Einheit mitzuformen. Als Büroleiterin des damaligen Chairman liefen viele Entscheidungen über ihren Tisch, und die Herausforderung, eine neue Behörde aufzubauen, reizte die heute 56-Jährige.

Ross fühlt sich durch und durch als Europäerin. Als die Entscheidung für den Aufbau von europäischen Finanzaufsichtsbehörden gefallen war, bewarb sie sich auf einen Job bei der ESMA. Das war 2011, als Executive Director gehörte sie zum Führungsteam.

Vertrag bis 2026

Der Vertrag als Chefin der ESMA läuft wie üblich fünf Jahre, also bis 2026. Ross könnte bei der ESMA noch einmal verlängern. „Ob ich das anstrebe oder was nach der ersten Amtsperiode kommt, ist derzeit offen.“  Generell biete die Arbeit im öffentlichen Sektor viele Möglichkeiten und Herausforderungen.

Ein Austausch zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor sei aber wichtig. „So können Aufsichtsinstitutionen von der Erfahrung der Privatwirtschaft profitieren. Denn die wirklichen Marktkenntnisse sind vielfach in den Unternehmen zu finden“, sagt Ross. Wichtig sei beim Übergang von dem einen in den anderen Sektor eine vernünftige Abkühlungsperiode. Ausschließen will sie nicht, dass sie nochmal in ihrem Leben in die Privatwirtschaft wechselt. Klar ist aber, dass sie in Europa bleiben will, ein Wechsel etwa zur SEC komme für sie nicht infrage, auch weil sie keine Amerikanerin sei. „Eine etwas aktivere Überwachung mit schnelleren Eingriffen, so wie es zum Teil in den USA praktiziert wird, wäre aber auch in Europa sinnvoll.“

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