Im InterviewMarija Kolak, BVR, und Ulrich Reuter, DSGV

„Experimente mit dem Vertrauen der Sparerinnen und Sparer“

BVR-Präsidentin Marija Kolak und Sparkassenpräsident Ulrich Reuter bangen um ihre Institutssicherungssysteme. Im Doppelinterview mit der Börsen-Zeitung appellieren sie an die EU, das Subsidiaritätsprinzip hochzuhalten.

„Experimente mit dem Vertrauen der Sparerinnen und Sparer“

Am Donnerstag entscheidet der Wirtschaftsausschuss des EU-Parlaments über einen Vorschlag zur Einlagensicherung. Sie beäugen diese Entscheidung mit Sorge. Warum?

Im Interview: Ulrich Reuter und Marija Kolak

„Wer ‚EDIS 1‘ sagt, sagt auch ‚EDIS2‘“

Der Sparkassenpräsident und die BVR-Präsidentin warnen vor einem Einstieg in die Vergemeinschaftung der Einlagensicherung

Vor der Sitzung des Wirtschaftsausschusses des EU-Parlaments schlagen die Verbundbanken Alarm. Im Doppelinterview plädieren BVR-Präsidentin Marija Kolak und Sparkassenpräsident Ulrich Reuter für einen Erhalt ihrer Institutssicherung und warnen vor einem drohenden Vertrauensverlust der Einlagekunden.

Kolak: Wir erleben hier ein unnötiges Eilverfahren zu einer sehr weitreichenden Entscheidung. Hektik ist aber kein guter Ratgeber. Hier wird versucht, ausgerechnet beim stark auf Vertrauen basierenden Thema Einlagensicherung eine Entscheidung übers Knie zu brechen.

Reuter: Wir kritisieren das Verfahren auf das Heftigste. Die notwendigen Voraussetzungen für EDIS werden seit Jahren verschleppt – und jetzt soll die Vergemeinschaftung ohne notwendige Grundlagen im Eilverfahren umgesetzt werden. Es liegen noch mehrere Hundert Änderungsanträge unbearbeitet auf dem Tisch. Die kritischen Folgen müssen unbedingt bedacht werden. Dazu muss man diejenigen einbeziehen, die das besonders betrifft und die funktionierende Systeme der Institutssicherung betreiben.

Kolak: Wir haben Befürchtungen, dass hier Experimente mit dem Vertrauen der Sparerinnen und Sparer gemacht werden sollen.

Der Text, über den der Ausschuss abstimmt, bedeutet eine deutliche Lockerung gegenüber dem ursprünglichen Vorschlag der EU-Kommission. Es geht zunächst einmal um bloße Liquiditätsunterstützung.

Reuter: Nein, es geht nicht nur um Liquiditätshilfe. Das ist der Einstieg in die Vergemeinschaftung. Nicht zufällig ist das, was am Donnerstag abgestimmt werden soll, mit „EDIS 1“ überschrieben. Mit diesem Schritt versucht man, das Thema unumkehrbar zu gestalten.

Kolak: Ich bin gelernte Bankerin. Wer Liquidität gibt, geht ins Risiko. Das sehen Banken und im Übrigen auch Aufseher genauso. Von „nur Liquiditätsunterstützung“ zu reden, verkennt dies. Und außerdem: Wer „EDIS 1“ sagt, sagt auch „EDIS 2“.

Sie fürchten, dass die EU die gemeinsame Einlagensicherung dann bald ausweiten würde?

Reuter: Innerhalb von vier Jahren soll dieses Verfahren auf Funktionalität und Robustheit überprüft werden. Wenn Liquiditätsunterstützung gegeben wird, soll die betroffene Institutsgruppe sechs Jahre Zeit haben, die Liquidität zurückzuführen. Aber nach vier Jahren soll bereits ein Bericht vorliegen, ob sich das bewährt hat. Das funktioniert nicht. Außerdem beinhaltet ja bereits Liquiditätshilfe die Übernahme von Risiken.

Inwiefern?

Reuter: Im Krisenfall Liquidität zuzuführen, bedeutet immer auch ein Ausfallrisiko. Und es ist doch absehbar: Falls ein Institut nach zwei, drei Jahren nicht in der Lage wäre, die Liquidität zurückzuführen, dann werden einige sagen: Seht Ihr, es funktioniert nicht, da muss man Risiken im Gesamtmarkt teilen.

Aber es ist doch wichtig, dass Liquiditätshilfe im Fall der Fälle zu Verfügung steht, oder?

Reuter: Seien wir ehrlich: Wenn es wirklich zu einem solchen Fall kommt und ein Institut im Moment einer Krise wirklich nur zwei oder drei Jahre Liquiditätshilfen benötigt und danach wieder selbständig agieren kann, dann ist der Markt sicher auch ohne ein solches System in der Lage, Liquiditätshilfe zu geben.

Könnten Sie denn eine EU-Einlagensicherung akzeptieren, wenn Institutssicherung davon ausgeschlossen wäre?

Kolak: Darum geht es mir nicht. Der EDIS-Vorschlag ist wie schon gesagt insgesamt betrachtet nicht ausgereift und birgt auch Risiken im Zusammenspiel mit der Säule 2 der Bankenunion, die ja auch gerade überarbeitet wird. Richtig ist aber, dass der Entwurf des EU-Parlaments bis zur vergangenen Woche noch eine Ausnahme der Institutssicherung noch ausdrücklich vorgesehen hatte. Dann kamen die vielen Änderungsanträge.

Reuter: Eine Ausnahme der Institutssicherung aus dem Anwendungsbereich wäre aus unserer Sicht die einzige richtige Entscheidung. Genauso wie die Genossenschaftsbanken unterhalten Sparkassen funktionierende Institutssicherungssysteme. Diese werden präventiv tätig und schließen dadurch Einlagensicherungsfälle aus. Institutsgruppen, die unter einer einheitlichen Marke tätig sind, können sich Schieflagen einzelner Institute auch gar nicht leisten. Das ist im Sinne aller Kunden, nicht nur der Einleger. Und unsere Institute sind auf anderen Märkten unterwegs als Großbanken. Deshalb ist das Argument, hier müsse ein „Level Playing Field“ geschaffen werden, nicht überzeugend.

Kolak: Institutssicherungssysteme sind der Brandschutz – und die EU will diesen Brandschutz abschaffen. Das würde völlig falsche Signale in der aktuellen Zeit senden.  Übrigens gibt es Institutssicherung ja nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich, Spanien, Italien und Polen.

Sind denn Institutssicherungssysteme robust genug, um auch ein großes Mitgliedsinstitut zu stützen, das ins Wanken gerät?

Kolak: Ein klares Ja. Punkt. Das System ist robust, das haben diverse echte Stresstests erwiesen. Dass man das in der Regel nicht öffentlich diskutiert, ist für mich ein Qualitätsbeweis.

Reuter: Brandschutz ist besser als Brände löschen. Wir greifen in die Speichen, bevor es zu Problemen kommt. Dennoch wären wir in der Lage, uns gegenseitig zu stützen.

Kolak: Ich möchte in diesem Zusammenhang dran erinnern: Es war doch gerade eine Lehre der Finanzkrise, dass man zwischen systemrelevanten und weniger relevanten Instituten unterscheiden sollte. Denn von einer einzelnen, regionalen Bank kann eine Systemgefährdung nicht ausgehen, zumal wir seit 90 Jahren erfolgreich den Brandschutz sicherstellen.

Reuter: Es wird argumentiert: Niemand soll mehr Sorge haben, wenn er Geld auf einem Konto bei einem Institut eines EU-Nachbarlands sparen möchte. Aber: Schon heute sind Einlagen bis 100.000 Euro  überall in der EU einheitlich abgesichert. Es muss also andere Motive geben. Wenn das Motiv sein sollte, die Risiken europäischer Großbanken abzusichern, weil dann Fusionen und Markteintritte erleichtert werden, dann muss man die kleinen, regional tätigen Institute davon ausnehmen. Wir wollen nicht mit dem für die Sicherheit unserer Kunden angesparten Sicherungsmitteln neue Geschäftsmöglichkeiten für Großbanken absichern.

Das Votum des EU-Parlamentsausschusses am Donnerstag soll ja auch endlich wieder die Bankenunion vorantreiben.

Kolak: Wir sagen auch, dass die Integration in Europa vorangehen muss und wir sagen, dass man doch bitte nicht den zweiten Schritt vor dem ersten machen soll. In Brüssel werden derzeit zwei Stränge zeitgleich bearbeitet. Das Krisenmanagement im Kontext des CMDI-Regelwerks auf der einen Seite, EDIS auf der anderen. Das Krisenmanagement soll im Kontext der CMDI ja verbessert werden. Mit EDIS werden aber auf der anderen Seite Anreize für Insolvenz und Entschädigung geschaffen. Das ist nicht konsistent. Aus unserer Sicht sollte erst das Krisenmanagement sauber ausgearbeitet werden und dann erst die Bankenunion, aber bitte ganzheitlich.

Welche Erwartungen haben Sie an das Verhalten der deutschen Regierung im Rat in Sachen EU-Einlagensicherung?

Kolak: Die Bundesregierung hat uns ihre Unterstützung zugesagt. Wir setzen darauf, dass es dabei bleibt.

Reuter: Der Bundeskanzler, der Bundesfinanzminister und der Bundeswirtschaftsminister haben sich beim Sparkassentag im vergangenen Jahr klar positioniert. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Bundesregierung von dieser Position abweicht. Alle politischen Kräfte in Deutschland sehen, dass Genossenschaftsbanken und die Sparkassen für die Stabilität unseres Wirtschaftssystems stehen. Wir stellen 80% der Finanzierung des deutschen Mittelstands.

Können Sie nachvollziehen, dass man den Sparkassen und Genossenschaftsbanken wegen ihrer Positionierung bei der Einlagensicherung eine antieuropäische Haltung vorwirft?

Reuter: Nein. Grundlage der EU ist das Prinzip der Subsidiarität. Damit, dass es die Dinge, die vor Ort gut funktionieren, einfach vor Ort gut funktionieren lässt. Und dort Eckpunkte setzt, an die sich dann alle Marktteilnehmerinnen und Marktteilnehmer in Europa zu halten haben. Das vermissen wir im Fall der vorgeschlagenen Regelung für ein einheitliches Einlagensicherungssystem.

Nur bei der Einlagensicherung oder auch in anderen Finanzmarktdossiers?

Reuter: Leider stellen wir zurzeit in der Regulatorik und der Aufsicht fest, dass Subsidiarität und Proportionalität längst nicht in dem Maße beachtet werden, wie es uns versprochen wurde. Wir erleben hier einen konzertierten Angriff auf die dezentralen Bankengruppen.

Kolak: Ich möchte in diesem Zusammenhang auch an die Lissabonner Verträge erinnern, in denen als Grundmanifest ja das Subsidiaritätsprinzip steht. Das wird in diesem Fall komplett ausgeblendet. Außerdem heißt es in Europa „United in Diversity“. Unsere dezentrale Wirtschaft braucht ihre dezentralen Banken und Sparkassen. Und die wiederum brauchen das Vertrauen ihrer Kunden, das auf den Schutzsystemen fußt.

Wie sollte die Bankenunion aus Ihrer Sicht gestaltet werden?

Kolak: Das Subsidiaritätsprinzip sollte Vorrang haben.

Reuter: Wir sind – und da kann ich für beide Verbünde sprechen – pro Europa und pro Kapitalmarkt- sowie Bankenunion. Wir brauchen mehr Gemeinsamkeiten in Europa. Das darf aber nicht mit der Verschiebung von Haftungsrisiken verwechselt werden.

Was ist aus Ihrer Sicht dringlich?

Reuter: Wir müssen, gerade im Wettbewerb mit den USA, Kapital aktivieren und sammeln, um Start-ups und die Transformation besser finanzieren zu können als heute. Aber wir können dabei nicht auf die Kreditfinanzierung der kleinen und mittleren Unternehmen verzichten. Es geht darum, dass eine zu tun, ohne das andere zu schädigen.

Zu den Personen

Es kommt nicht jeden Tag vor, dass die seit 2017 amtierende Präsidentin des Bundesverbands der deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), Marija Kolak, und Prof. Ulrich Reuter, seit Beginn dieses Jahres Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV), zum gemeinsamen Interview antreten. Aber wenn es um die Position in Sachen europäische Einlagensicherung geht, dann passt in der Sache kein Blatt zwischen die frühere Vorständin der Berliner Volksbank und den langjährigen Landrat des Landkreises Aschaffenburg und ehemaligen bayrischen Sparkassenpräsidenten.

Das Interview führten Detlef Fechtner und Anna Sleegers.

Es war doch gerade eine Lehre der Finanzkrise, dass man zwischen systemrelevanten und weniger relevanten Instituten unterscheiden sollte. Denn von einer einzelnen, regionalen Bank kann eine Systemgefährdung nicht ausgehen, zumal wir seit 90 Jahren erfolgreich den Brandschutz sicherstellen.

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