Bolsonaro verschafft sich starken Rückhalt
Von Andreas Fink, Buenos Aires
In Brasilien hat Präsident Jair Bolsonaro seine Position zu Wochenanfang deutlich festigen können. Durch eine parlamentarische Koalition mit einem Block aus konservativen Kleinparteien konnte er seine Wunschkandidaten auf die Vorsitze in Kongress und Senat bringen. Das Abgeordnetenhaus wird künftig geleitet von Artur Lira, dem Anführer der Partei Progressistas. Den Senat wird Rodrigo Pacheco führen. Der 44-jährige Kandidat des Präsidenten konnte eine breite Mehrheit hinter sich bringen und wurde sogar von Senatoren der linken Arbeiterpartei gewählt.
Schlüsselpositionen besetzt
Die Vorsitze von Kongress und Senat sind Schlüsselpositionen im brasilianischen Parlamentarismus, in dessen beiden Kammern Vertreter von mehr als 30 politischen Parteien wirken. Die Kontrolle dieser Funktionen gibt Bolsonaro nun erhebliche Sicherheit, die kommenden zwei Jahre ohne Impeachment-Verfahren regieren zu können.
Im Wahlkampf 2018 hatte Bolsonaro noch versprochen, die für das politische Brasilia charakteristischen politischen Kuhhändel beenden zu wollen. Doch nun dürfte es genau ein solch typischer Brasilia-Deal sein, der seiner Regierung die Stabilität sichert. Denn allgemein wird damit gerechnet, dass der Kleinparteienblock Centrão in den nächsten Wochen mehrere Ministerämter übernehmen dürfte – allen voran das bislang von einem ebenso fachfremden wie überforderten General geleitete Gesundheitsministerium, das in der Bekämpfung der Pandemie massive Fehler begangen hat.
Bolsonaro hat den Seuchenausbruch seit dessen Beginn Ende Februar 2020 nicht nur kleingeredet, sondern auch die Anstrengungen der Gouverneure im Kampf gegen die Ausbreitung des Virus hintertrieben – teilweise auch durch die Mobilisierung seiner fanatischen Anhänger und durch Kampagnen in den sozialen Netzen. Während andere Regierungen mit Impfstoffherstellern um die Zuteilung von Vakzinen verhandelten, wetterte Bolsonaro bis vor zwei Wochen noch öffentlich gegen jegliche Immunisierungen.
Doch nun bedroht der Ausbruch einer hochansteckenden Virusmutation in der Amazonas-Metropole Manaus alle Hoffnungen auf eine Lösung des Problems durch die „Herdenimmunität“. Manaus war von Wissenschaftlern nach einem massiven Ausbruch zwischen April und August 2020 als „erste immune Stadt“ angesehen worden. Aber nun befiel die Mutante viele Bürger, die bereits im Vorjahr erkrankt waren. Weil viele Patienten aus Manaus in andere Bundesstaaten verlegt wurden, befürchten Experten, dass sich die Manaus-Mutation in ein bis zwei Monaten im gesamten Land ausbreiten könnte.
Das könnte die Erholung der Wirtschaft verlangsamen. Experten wie Sergio Vale, Chefökonom der Beratungsfirma MB Associados, haben ihre Wachstumserwartungen um 2 bis 3 Prozentpunkte zurückgefahren. Vales Projektion liegt bei 2,6% Wachstum im Jahr 2021.
Seriöse Medien berichten, dass Bolsonaro erwägt, erneut staatliche Sonderzahlungen an das Heer von informellen Arbeitern zu überweisen. Mit diesen zunächst etwa umgerechnet 100 Dollar monatlich löste Bolsonaro 2020 einen beschränkten Kaufrausch innerhalb der ärmsten Schichten aus, der die Gesamtkonjunktur vor einem deutlicheren Absturz bewahrte. Bolsonaros Popularität bei Brasiliens Armen haben die Zahlungen im Vorjahr deutlich befördert. Nun belastet die Rücknahme der Subvention die Sympathiewerte des Präsidenten.
Sollte Bolsonaro nun wieder Notgroschen verteilen wollen, müssten die dafür notwendigen Mittel durch Umschichtungen im Budget aufgebracht werden, denn in Brasilien gilt seit 2016 ein in der Verfassung fixierter Haushaltsdeckel. Diesen will Finanzminister Paulo Guedes keinesfalls anheben. Guedes will vielmehr das ins Stocken geratene Privatisierungsprogramm wieder anfahren. Doch das gefällt den einflussreichen Militärs um Bolsonaro deutlich weniger als die Idee, durch staatliche Investitionen der Krise zu entwachsen. Neue Infrastrukturprojekte ließen sich freilich nur über weitere Kreditaufnahme finanzieren. Aber Brasiliens Verschuldung lag 2020 bereits bei über 90% des BIP – für ein Schwellenland deutlich zu hoch.
Der Ausbruch in Manaus scheint Bolsonaro jedenfalls überzeugt zu haben, dass sein Land nicht ohne große Impfkampagne auskommen wird. Er segnete vergangene Woche einen Deal ab, in dem ein Konsortium aus 70 Konzernen versucht, beim Pharmakonzern AstraZeneca 30 Millionen Impfdosen zu kaufen, zunächst natürlich für deren Personal. Ein Konsortium aus privaten Impfkliniken will zudem 5 Millionen Dosen in Indien kaufen. Weil sich sowohl Konzerne als auch Wohlhabende auf diese Weise Vorteile gegenüber dem Rest der Bevölkerung verschaffen würden, ist in dem Land nun eine Ethikdebatte über die Privatisierung des Infektionsschutzes ausgebrochen.