Der Mann, der Bilfinger sicherer machen soll
Von Daniel Schauber, MannheimWenn man dem neuesten Vorstandsmitglied von Bilfinger die Worte “Vorstandsvorsitzender” oder “Aufsichtsratsvorsitzender” vorspricht, langsam und deutlich, Silbe für Silbe, dann steht ein ganz großes Fragezeichen in seinem Gesicht. Duncan Hall, geboren 1967 im englischen Leigh nahe Manchester, ist erst seit rund sieben Monaten Chief Operating Officer des Mannheimer Industriedienstleisters und kann erst ein paar Brocken Deutsch: Bier, Brezeln, Bratwurst, Fußball, verboten. Sein Lieblingswort? Na klar: Schweinsteiger. Und auch “weißes Hemd” kommt dem Topmanager schon flüssig über die Lippen. Es geht auch ohne Deutsch Hall soll im runderneuerten vierköpfigen Vorstand als COO bei Bilfinger an der Seite von Vorstandschef Tom Blades Prozesse optimieren, die Effizienz erhöhen und die Arbeitssicherheit steigern, damit der ehemalige Baukonzern nach dem Turnaround die tiefe Krise weit hinter sich lassen kann. Und im Strategieausschuss, den Aufsichtsratschef Eckhard Cordes leitet, werden strategische Weichenstellungen besprochen. “Dass ich kaum Deutsch spreche, ist dabei kein Hindernis, allenfalls ist es für mich frustrierend”, sagt Hall im Gespräch mit der Börsen-Zeitung und lacht. Bilfingers Geschäft ist global, und von den 36 000 Beschäftigten spricht ein Großteil weder fließend Deutsch noch Englisch, sondern nur die jeweilige Landessprache perfekt – sei es Polnisch, Schwedisch oder Niederländisch. Bei Vorstandssitzungen ist Englisch die Lingua franca, und ansonsten vertraut Hall auf Online- oder Offline-Übersetzungshilfen, wie etwa Google Translate oder Kollegen. Vorstandsvorsitzender ist CEO, Aufsichtsratsvorsitzender ist Chairman, raunt ihm der Bilfinger-Kommunikationschef zu. “Tom and Eckhard”, sagt Hall und muss schmunzeln. Dass man im Deutschen so sperrige Titel verwendet, scheint den Briten leicht zu amüsieren.Hall soll mit seiner Arbeit dazu beitragen, dass Bilfinger in der aktuellen Aufbauphase die Profitabilität voranbringt und vor allem mit Öl-, Gas-, Energie- und Chemiekonzernen – also etwa Shell, Total, Clariant oder Sabic – noch stärker ins Geschäft kommt. In diesen Industrien erbringt Bilfinger rund 75 % des Umsatzes. Auf Chemie und Petrochemie entfallen 40 %, auf Öl und Gas 20 % und auf Energie und Versorger 15 %. Und da solche Kunden im Licht der Öffentlichkeit stehen und auf höchste Sicherheit achten müssen, muss Bilfinger hier ebenfalls kompromisslos sein. Ein Toter zu vielIst der Konzern da schon “best in class”? Hall antwortet diplomatisch: “Wir sind bei der Arbeitssicherheit insgesamt im oberen Viertel. Und wenn es um das Offshore-Geschäft in der Nordsee geht, hat Bilfinger Weltklasseniveau”, sagt er. Lost Time Injury, kurz LTI – also wenn ein Beschäftigter infolge einer Verletzung nach 24 Stunden nicht wieder zu Arbeit kommen kann – ist für ihn eine zentrale Kennziffer, an der er seinen Erfolg misst. “Im April hatten wir einen ganzen Monat ohne LTI”, sagt er stolz. Und: “In den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres haben wir die Lost-Time-Injury-Quote im Vergleich zu 2018 konzernweit um 50 % reduziert”. Absolute Zahlen dazu will er partout nicht nennen, aber er verschweigt nicht, dass in seiner Amtszeit als COO bei einem Kunden ein tödlicher Arbeitsunfall eines Kundenmitarbeiters zu beklagen ist. Hall wäre der falsche Mann für den Job, wenn er jetzt nicht sagen würde: “Das ist genau einer zu viel.” Ein Leben aus dem KofferHall ist in Sachen Sicherheit und Effizienz ständig unterwegs in der großen Bilfinger-Welt. Ein eigenes Büro in der neuen Firmenzentrale in Mannheim braucht er deshalb gar nicht. “Koffer und iPad sind meine besten Freunde”, sagt er. Kontakt hält er über Skype und E-Mails. Regelmäßig ist er in Oberhausen, wo die Division Technologies sitzt und wo er immerhin einen festen Arbeitsplatz hat.Ansonsten fühlt er sich im Hotel wohl. “Ich war gerade drei Wochen nicht zuhause”, sagt Hall und meint damit Manchester, wo seine Familie lebt. Die Familie – seine Frau und seine drei Söhne – besucht ihn, wann immer es geht, zuletzt in Frankfurt und Hamburg. Hall ist seit 28 Jahren verheiratet. Wie ist ein so zerrissenes Familienleben auszuhalten? “Wir wissen, was geht und was nicht, und wir tauschen uns jeden Tag aus”, sagt er. Weil alle offen und ehrlich miteinander umgingen und sich Zeit füreinander nähmen, sei das Leben lebenswert und die Familie glücklich.Offener und ehrlicher Umgang sei auch bei Bilfinger überall zu spüren, wo er hinkomme. Tatsächlich? “Wenn es bei Bilfinger mal so etwas wie eine Hierarchiekultur gegeben haben sollte, dann ist das nicht mehr spürbar”, sagt er im Brustton der Überzeugung. “The past is the past, those people have moved on.” Doch Bilfinger hat heute noch schwer zu kämpfen mit den Hinterlassenschaften des früheren Topmanagements, von dem der Aufsichtsrat Schadenersatz fordert. So muss auch Hall als COO hart daran arbeiten, dass der SDax-Konzern, an dem der schwedische Aktionärsaktivist Cevian 26,8 % hält und der gegen Leerverkäufer zu kämpfen hat, mit positivem Newsflow die Altlasten verblassen lässt – allen voran den Schmiergeldskandal aus dem Jahr 2003 und einstige Gewinnwarnungen in Serie. Sprungbrett zum ChefbüroDabei sieht Hall den Konzern selbstredend auf dem richtigen Weg. Seine Karriere verlief bislang steil nach oben. Der gelernte Elektrotechnikingenieur startete 1987 bei der britischen Imperial Chemical Industries und kam zu Bilfinger, als der britische Industriewartungsspezialist O’Hare Engineering 2007 von den Deutschen übernommen wurde. Kein Geheimnis ist, dass der COO-Posten in globalen Großkonzernen als Sprungbrett zum Chefbüro gilt und dass CEO Tom Blades 63 Jahre alt ist. Wie lange genau Hall noch bei Bilfinger bleiben will? “As long as they want me”, sagt er.