Deutsch-italienischer Konflikt um Chefposten

Die Regierung in Rom macht massiv Druck, den vakanten Chefposten bei der europäischen Finanzmarktaufsicht ESMA mit Carmine Di Noia zu besetzen. Damit gerät sie massiv in Konflikt mit der Bundesregierung.

Deutsch-italienischer Konflikt um Chefposten

Italiens Regierung erhöht den Druck, die Spitze der europäischen Finanzmarktaufsicht ESMA mit einem Italiener zu besetzen. Wirtschaftsminister Daniele Franco hat sich ungewöhnlich klar für Carmine Di Noia, derzeit Kommissar der italienischen Börsenaufsicht Consob, ausgesprochen. Nach seiner Ansicht ist der 55-jährige Römer der kompetenteste Kandidat für den Posten. Das sehe auch der ESMA-Rat so, der sich klar für den Italiener ausspreche.

Um den ESMA-Posten wird seit Monaten gestritten. Der Posten ist seit Ende der Amtszeit des Niederländers Steven Maijoor Ende März vakant und wird kommissarisch von Anneli Tuominen geführt, die im ersten Halbjahr massiv bei der damals portugiesischen EU-Ratspräsidentschaft auf eine schnelle Klärung gedrungen hatte. Vergebens.

Di Noia hat Mittelmeerstaaten hinter sich

Di Noia ist ohne Zweifel kompetent. Nach Wirtschaftsstudien an den römischen Universitäten Tor Vergata und La Sapienza machte er einen Master (Ph.D. Economics) an der University of Pennsylvania. Er gilt als einer der größten Corporate-Governance-Experten Italiens, war 16 Jahre in führenden Positionen für den Verband der börsennotierten Unternehmen Italiens (Assonime) tätig und von 1995 bis 2001 Marktinformationsdirektor der Consob. 2015 wurde er zu einem von zwei Consob-Kommissaren, de facto zum Vizepräsidenten, ernannt. Er hat internationale Erfahrung, ist Vorsitzender des Ausschusses für Marktanalyse der ESMA und war immer wieder als Nachfolger des betagten und sehr europakritischen Consob-Chefs Paolo Savona im Gespräch. In Rom heißt es, Di Naio habe eine Mehrheit von 17 der 27 EU-Staaten hinter sich. Das sind vor allem Staaten des „Club Med“.

Di Noia sagte im Februar der Börsen-Zeitung, er trete für eine schnelle Realisierung der Kapitalmarktunion, eine Ausweitung der Rolle der ESMA als Supervisor und die Übertragung weiterer Verantwortlichkeiten an die ESMA ein. Damit stößt er jedoch in Deutschland auf Kritik.

Bundesregierung unterstützt Konkurrentin

Berlin unterstützt seine Konkurrentin, die Deutsche Verena Ross, die zehn Jahre lang ESMA-Exekutivdirektorin war (bis Ende Mai) und über langjährige Erfahrung in der britischen Finanzaufsicht verfügt. Genau dies ist nach italienischer Interpretation ein Nachteil: Die Nähe zu Großbritannien sei „nicht optimal“. Außerdem sei es nach zehn Jahren bei der ESMA Zeit zu gehen.

Einen Frauenbonus kann Ross aus Sicht Roms nicht für sich in Anspruch nehmen. Schließlich seien mit EZB-Chefin Christine Lagarde, der neuen Chefin der Versicherungsaufsicht EIOPA, Petra Hielkema, und der französischen ESMA-Generaldirektorin Natasha Cazenave zuletzt mehrere Frauen in Führungspositionen berufen worden.

Viele Italiener auf Spitzenposten

Doch Italiener sind überrepräsentiert bei Spitzenposten im EU-Finanzsektor: Sie stellen mit Paolo Gentiloni den EU-Wirtschaftskommissar und mit dessen Kabinettschef Marco Buti, Ex-Generaldirektor für Wirtschaft und Finanzen, einen Mann, der weiterhin großen Einfluss auf die Personalpolitik der EU-Behörde hat. Die Sozialistin Irene Tinagli ist Vorsitzende des Wirtschafts- und Währungsausschusses im Europaparlament, Andrea Enria oberster Bankenaufseher bei der EZB, Fausto Parente Exekutivdirektor der EIOPA und der enge Draghi-Vertraute Fabio Panetta Mitglied des EZB-Direktoriums. Die Entscheidung über den ESMA-Spitzenposten dürfte sich hinziehen: Sie soll wohl erst im September bei einem Ecofin-Treffen fallen.

Von Gerhard Bläske, 15.7.2021