Europäische Union

Die Rückwärtsrolle des Charles Michel

EU-Ratspräsident Charles Michel hat überraschend seine Ankündigung zurückgenommen, für das Europaparlament zu kandidieren. Dieser Plan hatte viel Kritik ausgelöst, weil dadurch potenziell Ungarns Regierungschef Victor Orban kommissarisch die Regie über den EU-Gipfel übertragen bekommen hätte.

Die Rückwärtsrolle des Charles Michel

Die Rückwärtsrolle des Charles Michel

fed Frankfurt

EU-Ratspräsident Charles Michel hat sich entschieden, nun doch nicht für einen Sitz im EU-Parlament zu kandidieren. Der 48-jährige Liberale will sich stattdessen „mit aller Kraft und Entschlossenheit meinen derzeitigen Aufgaben widmen, bis sie zu Ende sind“. Seine Amtszeit endet im November.

Wohlwollend kann man dem Belgier zugutehalten, dass er die vielstimmige Kritik an seinen Parlamentsplänen nicht ignoriert hat. Zugleich muss man dem Ex-Premier von Belgien aber eine unnötige Schwächung des EU-Rats in einer sensiblen Phase durch mangelndes politisches Gespür sowie durch anhaltende Uneinsichtigkeit vorwerfen. Denn seine Erklärung, warum er nun doch nicht für das EU-Parlament kandidieren möchte, liest sich wie der Versuch einer Rechtfertigung seines eigentlichen Plans. Sein damals „kühnes“ Vorgehen habe „extreme Reaktionen“ provoziert, schreibt Michel auf Facebook. Zwar begrüße er „jede politische Kritik und jedes legitime Argument“. Allerdings hätten "persönliche Angriffe zunehmend Vorrang vor sachlichen Argumenten.“ Mit derlei Aussagen rückt er einen großen Teil der Kritik in den Ruch bloßer Anfeindungen ohne substanzielle Argumente. Die Kritik, damit ein Vakuum an der Spitze des Rats zu riskieren, wischt er mit dem Hinweis beiseite, durch seine frühe Ansage hätte rechtzeitig ein Nachfolger ausgewählt werden können.

In den Medien und von Europaabgeordneten war der Vorwurf erhoben worden, Michel sei genau nicht da, wenn die EU den Ratspräsident brauche. Denn nach den Europawahlen, bei denen er als Spitzenkandidat der wallonischen Liberalen fest mit einem Einzug ins EU-Parlament hätte rechnen können, hätte er das Spitzenamt im Rat aufgeben müssen. Das hätte dazu führen können, dass der Regierungschef des Landes, das gerade den Ratsvorsitz inne hat, auch die Leitung und Regie der EU-Gipfel kommissarisch übernommen hätte. Der Zufall will es, dass diese Rolle ab 1. Juli 2024 dem Ungarn Viktor Orbán zufallen würde – der umstrittensten Figur in der Runde der 27 Regierungschefs. Welche Folgen die Rolle rückwärts für Michels Autorität als Ratschef hat, wird sich schon diese Woche beobachten lassen. Denn er muss einen äußerst schwierigen EU-Gipfel leiten. Sein härtester Gegenspieler dabei: Viktor Orbán.

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