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Ein Schaf im Wolfspelz

Von Jan Schrader, Frankfurt Börsen-Zeitung, 4.5.2019 Wenn es um Fleisch geht, wägt Ethan Brown seine Worte ab - je nach Adressat. Seine beiden Kinder lebten mittlerweile vegetarisch und hoffentlich bald vegan, sagte der Mitgründer und Chef des...

Ein Schaf im Wolfspelz

Von Jan Schrader, FrankfurtWenn es um Fleisch geht, wägt Ethan Brown seine Worte ab – je nach Adressat. Seine beiden Kinder lebten mittlerweile vegetarisch und hoffentlich bald vegan, sagte der Mitgründer und Chef des Börsenneulings Beyond Meat, einem Hersteller pflanzlicher Fleischalternativen, bereits vor einigen Jahren einer Tierschutzorganisation im Interview. Auf seine Kinder hat er demnach eingewirkt, etwa indem er ihnen ein Video aus der industriellen Tierhaltung vorhielt und sie auf die willkürliche Trennung zwischen Haus- und Nutztieren hinwies. Dass er damit jenseits der Kernfamilie nur wenige Menschen überzeugen kann, ahnte er schon damals: “Ein Geschäft aufzubauen und Leuten zu erzählen, was sie nicht essen sollten, ist eine dumme Idee.” Seine Worte hat er angepasst: “Ob Du ein Hardcore-Fleischesser oder ein strikter Veganer bist, Du solltest unsere Burger haben können, genießen, was Du isst, und Dich hinterher großartig fühlen”, sagte er zur jüngsten Markteinführung in kanadischen Geschäften.Die Burgerfrikadelle, die einem blutigen Stück Rindfleisch nachempfunden ist und auch – hier streiten die Burgerliebhaber – näherungsweise so schmeckt, ist eine Equity Story. Zugeteilt wurde die Aktie am Mittwoch für 25 Dollar pro Stück, und die Firma nahm mit 9,63 Millionen Aktien 241 Mill. Dollar ein. Am Donnerstagmorgen notierten die Papiere bei etwa 46 Dollar, ehe sie am Abend mit 65,75 Dollar in New York aus dem Handel gingen. Damit messen die Aktionäre der Firma einen Börsenwert von 3,8 Mrd. Dollar zu, denn nur ein Teil der Anteile wurde veräußert. Am Freitagvormittag stieg der Kurs in New York zeitweise über die Marke von 70 Dollar, wenn auch bei starken Schwankungen.Die Geschäftsaussichten des 2009 gegründeten Unternehmens sind bislang reichlich spekulativ: Das vergangene Jahr endete mit 29,9 Mill. Dollar Verlust bei einem Umsatz von 87,9 Mill. Dollar. Auch in den Jahren zuvor schrieb das Unternehmen tiefrot, auch wenn sich der Umsatz stark erhöht hat. Ob die Kunden die Frikadelle aus Erbseneiweiß mit dem Saft aus roter Bete gemeinhin akzeptieren, muss sich zeigen. Das selbstbewusste Auftreten Browns ist ein Stück Börsenkultur in den USA, wo kleine Firmen mit beachtlichen Hoffnungswerten jenseits der Bilanz schnell mal auf Bewertungen jenseits der Milliardenschwelle kommen und als “Einhorn” Berühmtheit erlangen. Bunter InvestorenkreisDabei muss der Unternehmer, der als Kind auf einem Milchkuh-Betrieb aufwuchs und in frühen Berufsjahren bei der Brennstoffzellenfirma Ballard Power Systems Karriere gemacht hat, einen heterogenen Eignerkreis zusammenhalten. Einerseits zählen Investoren dazu, die auch aus ethischer Überzeugung heraus Geld bereitgestellt haben, etwa der Filmstar Leonardo DiCaprio, der schon als Unterstützer des politisch motivierten Films “Cowspiracy” auffiel, die Investorin und Schauspielerin Jessica Chastain, die als Veganerin bekannt ist, die Tierschutzorganisation Humane Society of the United States sowie Microsoft-Gründer Bill Gates, der sich mit seiner Frau Melinda als Philanthrop einen Namen gemacht hat. Andererseits gehörte der US-Fleischriese Tyson Foods über viele Jahre zum Investorenkreis, um Erfahrungen in dem jungen Marktsegment zu sammeln, ehe das Unternehmen im April den Verkauf des Anteils bekannt gab und stattdessen auf ein eigenes Fleischersatzprodukt setzen will. Auch der ehemalige McDonald’s-Chef Don Thompson ist an Bord.Sprache ist ein wichtiges Instrument, um unterschiedliche Sichtweisen zu vereinen. Im Investorenbrief vor dem Börsengang stellt Brown schlicht die Definition von Fleisch auf den Kopf: Fleisch müsse doch gar nicht nach der Herkunft, also von Geflügel, Schwein oder Rind definiert werden, sondern nach der Zusammensetzung aus Aminosäuren, Lipiden, Spurenelementen, Vitaminen und Wasser, sagt er. “Wir umgehen das Tier, den größten Flaschenhals der Landwirtschaft.” Sein Marketing ist angepasst an den Zeitgeist: Das Tierwohl ist nur eines von vielen Argumenten, neben Gesundheit, Klimaschutz und Ressourcenknappheit und natürlich dem Geschmack. 66 Milliarden Landtiere werden den Angaben nach pro Jahr für Nahrungsmittel geschlachtet – wer will, kann diese Zahl als ethischen Missstand betrachten, oder aber schlicht als Potenzial, das die junge Firma womöglich vor sich hat. Jeder hört, was er denkt.Der Auftritt sagt aber auch etwas über die Tierschutzbewegung aus, die ein schrilles Auftreten und Kontroversen mittlerweile eher meidet. Brown ist Verkäufer, und viele Aktivisten wünschen ihm Erfolg – für sie ist er ein Schaf im Wolfspelz.