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Familie Pesenti wechselt in den Streubesitz

Von Stefan Paravicini, Frankfurt Börsen-Zeitung, 30.7.2015 Geht es nach Tradition und Geltung, hat die Familie Pesenti in Italien einen ähnlich guten Namen wie die Industriellendynastien Agnelli und Pirelli. Allein, mit der Geltung italienischer...

Familie Pesenti wechselt in den Streubesitz

Von Stefan Paravicini, FrankfurtGeht es nach Tradition und Geltung, hat die Familie Pesenti in Italien einen ähnlich guten Namen wie die Industriellendynastien Agnelli und Pirelli. Allein, mit der Geltung italienischer Unternehmerfamilien ist es im Weltmaßstab schon länger nicht mehr so weit her wie früher. Die Agnellis ziehen über ihre Familienholding Exor zwar weiterhin bei Fiat die Fäden. Der Automobilkonzern fährt aber schon länger einen Schlingerkurs und konnte sich zuletzt nur mit Hilfe der US-Beteiligung Chrysler in der Spur halten. Die Traditionsreifen von Pirelli sind mittlerweile nach China verkauft, wobei in dem Deal vor allem die Familie Malacalza eine wichtige Rolle spielt, die ihren Anteil an der Pirelli kontrollierenden Holding Camfin an China National Chemical Corporation veräußerte.Jetzt räumen auch die Pesentis, die mit Carlo (52) in fünfter Generation bei Italcementi das Sagen haben, das Feld. Die Holding Italmobiliare, in der die Familie ihre Beteiligungen zusammengeführt hat, verkauft die von ihr gehaltenen 45 % an dem Zementhersteller an Heidelberg Cement. Der Dax-Konzern bezahlt bar und in eigenen Aktien. Die Unternehmerfamilie Pesenti, die über Italmobiliare zwar noch diverse Beteiligungen in der Verpackungsindustrie, in der Finanzbranche und im Verlagswesen hält, deren Geschäfte innerhalb der Holding im vergangenen Jahr aber kaum ein Zehntel des Umsatzes beitrugen, wechselt aus der Rolle des Ankeraktionärs und Chefs von Italcementi also in den Streubesitz von Heidelberg Cement. Die Rolle von Carlo, der den Konzern seit 2004 führt, wird in Zukunft ebenso wie die seines Vaters Giampiero (84) auf die Holding Italmobiliare beschränkt sein. Hier fungiert Carlo seit dem vergangenen Jahr als CEO, während der Vater ebenso wie im Konzern als Chairman über das Familienerbe waltet. Suezkanal und VatikanDie Anfänge von Italcementi gehen auf das Jahr 1864 zurück. Damals wurde in Scanzo, in der Nähe des heutigen Firmensitzes in Bergamo, die Società Bergamasca per la Fabbricazione del Cemento e della Calce Idraulica gegründet, die den Kalkstein der umliegenden Hügel zu Zement brannte, der bald etwa beim Bau des Suezkanals und bei der Errichtung des Bahnhofs Venezia Santa Lucia Verwendung fand. In die Hände der Familie Pesenti gelangte der Zementhersteller Anfang des 20. Jahrhunderts, als Cesare Pesenti das Unternehmen mit der eigenen Firma verschmolz. Als der Konzern 1927 an die Börse ging, gehörten zu dem Familienunternehmen 33 Zementwerke, die gut zwei Fünftel des Bedarfs im Inland abdeckten.Nach 1945 übernahm Carlo Pesenti, der Großvater des jetzigen CEO, die Führung des Unternehmens und gründete die Holding Italmobiliare, um seine Aktivitäten außerhalb der Bauindustrie zu bündeln. Gestützt auf das florierende Geschäft von Italcementi, die mittlerweile rund drei Fünftel des italienischen Marktes kontrollierte, sowie mit Hilfe der “guten Kontakte zur Regierung und in den Vatikan”, wie Alexander Aganin und Paolo Volpin 2003 in einem Papier für das European Corporate Governance Insitute schrieben, gelang es Carlo, unter anderem die Kontrolle am Maschinenbauer Franco Tosi und an der Versicherungsgesellschaft RAS zu gewinnen. Italmobiliare beteiligte sich auch an einer Reihe nicht börsennotierter Banken und kontrollierte den Autobauer Lancia. Ende der sechziger Jahre stand die Familie auf Augenhöhe mit dem Imperium der Agnellis, schreiben Aganin und Volpin in ihrer “History of Corporate Ownership in Italy”.Damit waren die Pesentis aber auf dem Höhepunkt der Expansion angekommen. Die kriselnde Lancia gab der Clan bald an die Agnellis ab, RAS wurde später an die Allianz verkauft. Nachdem die Familie in den siebziger Jahren gleich zwei Übernahmeversuche bei Italcementi abwehren musste – einmal versuchten es wiederum die Agnellis, die mit Unicem ebenfalls auf Zement bauten – sicherten die Pesentis ihre Kontrolle 1980 mit einem Börsengang der Tochter Italmobiliare ab, die im gleichen Jahr einen Mehrheitsanteil an Italcementi von der Familie erwarb.Nach dem Tod Carlos übernahm 1984 Giampiero die Geschäfte und katapultierte Italcementi mit der Übernahme von Ciments Français 1992 für kurze Zeit in die Weltspitze. Im Jubiläumsjahr 2014, dem zehnten unter CEO Carlo Pesenti, fiel der Umsatz der Holding um 1,4 % auf 4,5 Mrd. Euro, wobei die Baumaterialien mit 4,1 Mrd. Euro 1,8 % weniger lieferten. Der operative Gewinn lag bei 245 Mill. Euro, 227 Mill. Euro aus dem Zementgeschäft.