Raiffeisen Schweiz

Furchtlose Spesenritter

Am 25. Januar beginnt der Prozess gegen den Ex-Chef von Raiffeisen Schweiz Pierin Vincenz. Für gewerbsmäßige Betrügereien fordert die Staatsanwaltschaft sechs Jahre Haft.

Furchtlose Spesenritter

Von Daniel Zulauf, Zürich

Am Dienstag beginnt in Zürich der Strafprozess gegen den ehemaligen Chef von Raiffeisen Schweiz Pierin Vincenz und sechs Mitangeklagte. Die Staatsanwaltschaft fordert sechs Jahre Ge­fängnis für Vincenz und den zweiten Hauptbeschuldigten Beat Stocker. Die vom Gericht geplanten vier Verhandlungstage dürften für den komplexen Fall kaum reichen.

39 Stunden Plädoyer geplant

Am Freitag wurde bekannt, dass die Verteidiger Plädoyers in einer Ge­samtlänge von 39 Stunden vorbereitet haben. Das ist mit Blick auf die 356 Seiten starke Anklageschrift auch keine Überraschung. Denn im Schweizer Strafrecht ist die Beweispflicht für Betrugsvorwürfe deutlich strenger als in anderen Ländern, namentlich auch als in Deutschland. Ob Vincenz und Stocker ihre mutmaßlichen Betrügereien sogar gewerbsmäßig betrieben haben, wie die Staatsanwaltschaft meint, wird sich weisen.

Unbestreitbar ist indessen das schon fast unfassbar dreiste Verhalten der Hauptangeklagten, wie die Anklageschrift anhand zahlreicher Beobachtungen eindrücklich zeigt. So blieb Alexandra zwar eine kleine Episode im Liebesleben von Pierin Vincenz, aber eine, die den Zürcher Ermittlern offenbar wichtig genug erschien, um etwas genauer hinzusehen.

Die Tinder-Bekanntschaft, die im Hitzesommer 2015 zu einem ersten Date auf der Limmatterrasse des schicken Hotels Storchen in der Zürcher Altstadt führte, war ein Anlass von vielen, die dem damals 59-jährigen Bankchef Gelegenheit gaben, seine Männlichkeit unter Beweis zu stellen. Ganz der Gentleman, legte Vincenz für den Abend – oder mindestens jenen Teil davon – 700 sfr auf den Tisch oder präziser die Firmenkreditkarte aufs Silbertablett. Im Raiffeisen-Komplex, in dem es um mutmaßliche Betrügereien in zweistelliger Millionenhöhe geht, mögen solche Beträge zwar als vernachlässigbar gelten.

Es geht genau zur Sache

Doch das Interesse der Strafverfolger an jenem „belanglosen“ Tête-à-Tête zeigt exemplarisch, wie genau es zur Sache gehen wird, wenn Hauptrichter Sebastian Aeppli im Theatersaal des vollgepackten Zürcher Volkshauses den spektakulärsten Schweizer Wirtschaftsprozess seit der Swissair-Pleite eröffnet. Für die Ankläger ist Vincenz’ großzügige Geste gegenüber Alexandra ein Fall von Veruntreuung. Aber waren die privaten Ausschweifungen des Bankers und seines Geschäftspartners Beat Stocker auf Kosten der Firma in der Summe auch eine Form von gewerbsmäßigem Betrug, wie die Staatsanwaltschaft behauptet?

Allein für die Rotlicht-Etablissements, welche die beiden in den Jahren 2009 bis 2015 im ganzen Land besucht hatten, stellten sie ihren Arbeit- bzw. Auftraggebern mehr als 200000 sfr als „Geschäftsspesen“ in Rechnung. Dazu kamen im Fall von Vincenz Auslagen für Freizeitreisen teilweise mit Familie im Betrag von über 100000 sfr sowie private Anwaltskosten in sechsstelliger Höhe.

Buntes Treiben erkennbar?

Damit dieses skandalöse Verhalten aber auch den schwerwiegenden Tatbestand des gewerbsmäßigen Be­trugs erfüllt, werden die Ermittler nachweisen müssen, dass die Organe, die für die Überwachung von Vincenz und Stocker mitverantwortlich waren, deren buntes Treiben nicht selbst hätten erkennen und unterbinden können. Anders ausgedrückt wird es in dem Prozess wesentlich um die Frage gehen, wie hinterhältig oder arglistig die beiden Hauptbeschuldigten in ihren vielfältigen Handlungen vorgegangen sind.

In der Natur ähnlich, finanziell aber weit gewichtiger als die Spesen waren die diversen Firmenübernahmen, in denen sich die geschäftlichen und privaten Interessen von Vincenz und Stocker vermischten. So macht die Staatsanwaltschaft geltend, die beiden hätten sich mit Hilfe eines Systems von „Schattenbeteiligungen“ in vier Fällen zwischen 2006 und 2017 „nicht gebührende Vor­teile“ in Höhe von über 24 Mill. sfr erschlichen.

Das medial am meisten besprochene Beispiel ist die Übernahme der Firma Commtrain, einer Anbieterin elektronischer Bezahlterminals, durch die Kreditkartenherausgeberin Aduno im Jahr 2007. Stocker und Vincenz hatten sich laut Anklageschrift bereits 2005 an Commtrain be­teiligt und ihre Anteile in die Zuger Briefkastenfirma iFM eingebracht. Als deren einziger Gesellschafter trat nach außen ein Rechtsanwalt auf, der unliebsame Fragen zu seinen mut­maßlichen Auftraggebern unter Verweis auf das Anwaltsgeheimnis ab­geblockt hat.

Dieser Anwalt führte dann auch die rechtliche Prüfung durch, als 2006 die Firmenübernahme eingeleitet werden sollte. Mit Stocker als Aduno-Chef und Vincenz als Verwaltungsratspräsident hatten die beiden bei der Mandatierung des Anwalts offensichtlich die Finger im Spiel.

Bei drei weiteren Unternehmen, die Aduno übernahm, hatten sich Stocker und Vincenz zuvor mit einzelnen Aktionären auf Konstruktionen für eine Schattenbeteiligung oder stille Partnerschaften geeinigt.

Die eklatante Dreistigkeit, mit der im Raiffeisen-Komplex alle Handelnden, allen voran aber Vincenz und Stocker, vorgegangen sind, hat in dem medial stark vorgespurten Prozess die vielleicht trügerische Erwartung genährt, dass die Staatsanwaltschaft mit ihren ehrgeizigen Strafanträgen ein leichtes Spiel haben wird.

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