IWF

Georgiewas Lage spitzt sich zu

Wegen Manipulationsvorwürfen nimmt kurz vor der Jahrestagung der Druck auf die IWF-Chefin Kristalina Georgiewa zu – offenbar auch von Seiten der US-Regierung. Unter hochrangigen Beobachtern ist eine heftige Kontroverse entbrannt.

Georgiewas Lage spitzt sich zu

Von Mark Schrörs

und Stefan Reccius, Frankfurt

Kristalina Georgiewa lässt sich überhaupt nichts anmerken. Als sie am Dienstagmorgen Washingtoner Zeit im TV-Studio des Internationalen Währungsfonds (IWF) steht, mit rotem Blazer, weißem Oberteil und schwarzer Hose, und ihre traditionelle „Curtain Raiser“-Rede vor der IWF-Jahrestagung in die Kameras spricht, redet sie so leidenschaftlich und gestikuliert so entschlossen wie immer. Eindringlich appelliert sie an die politischen Entscheider, die großen Unterschiede weltweit bei den Impffortschritten und der Wirtschaftserholung zu überwinden. „Wir können überall eine stärkere Erholung sicherstellen und eine bessere Welt nach der Pandemie für alle gestalten“, sagt sie. Und auch bei der anschließenden Diskussion mit, neben anderen, Mario Monti, heute Präsident der italienischen Bocconi-Universität und einst langjähriger EU-Kommissar, argumentiert die Bulgarin so klar und resolut, wie man es von ihr kennt.

Weltbank hat reagiert

Tatsächlich aber steht Georgiewa dieser Tage unter gewaltigem Druck. Es ist nicht bloß die in der kommenden Woche anstehende IWF-Jahrestagung, die Georgiewa beschäftigt. Und auch nicht nur die Lage der Weltwirtschaft und des globalen Finanzsystems, die beide im Fokus der Beratungen der Finanzminister und Notenbankchefs der 190 IWF-Mitgliedsländer stehen. Es ist ihre eigene Zukunft – und ihre Vergangenheit –, die Georgiewa umtreibt und ohne Frage sicher belastet. Es geht um Manipulationsvorwürfe in ihrer Zeit bei der Weltbank: Im Jahr 2017 soll sie sich intern dafür eingesetzt haben, einen viel beachteten Bericht der Weltbank zum inter­nationalen Geschäftsklima („Doing Business Report“) zugunsten von China zu schönen (vgl. BZ vom 18. September).

Die Weltbank hat die Rangliste, die Länder nach ihrer Attraktivität für Unternehmer und Investoren einstuft, aufgrund der Vorwürfe abgeschafft. Die Vorwürfe gegen Georgiewa halten sich hingegen hartnäckig – und ausgerechnet vor der Jahrestagung spitzt sich die Lage für die 63 Jahre alte Ökonomin aus Bulgarien zu. Die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtete am Donnerstag, dass es im US-Finanzministerium Überlegungen gebe, Georgiewa zum Rücktritt aufzufordern. Ohne die USA, den größten Anteilseigner des Fonds, geht beim IWF nichts, das macht die Spekulationen so brisant.

Kontroverse unter Experten

Wie die Nachrichtenagentur Reuters mit Verweis auf eine mit der Sache vertraute Person des Weiteren berichtet, kommt das Exekutiv-Komitee des IWF an diesem Freitag erneut zusammen, um die Angelegenheit zu beraten. Bislang gibt sich der IWF schmallippig. Ein Sprecher teilte mit, dass sich Georgiewa mit Vertretern der Kanzlei WilmerHale, die das Gutachten mit den Vorwürfen erstellt hat, ausgetauscht und sich das Führungsgremium des IWF mit der Angelegenheit befasst habe.

Unter renommierten Beobachtern schlagen die Vorgänge hohe Wellen. Nicht nur der nun eingestellte Doing Business Report selbst, auch das Verhalten Georgiewas haben eine heftige Kontroverse ausgelöst. Die Wirtschaftswissenschaftlerin und frühere IWF-Vize Anne O. Krueger drängt Georgiewa zum Rückzug, weil sie der Glaubwürdigkeit des Währungsfonds schweren Schaden zugefügt habe. Ansonsten werde „die gesamte Arbeit der Institution abgewertet“. Ganz anders sieht es der frühere Chefvolkswirt der Weltbank, Joseph Stiglitz. Er spricht von einem versuchten „Coup“, um Georgiewa loszuwerden. Stiglitz hält den Untersuchungsbericht für lückenhaft und den Doing Business Report nach eigener Aussage seit jeher für ein „schreckliches Produkt“. Auf Basis eigener Gespräche mit Beteiligten kommt er zu dem Schluss: Bei der Kritik an Georgiewa handele sich um eine „Verleumdungskampagne“.

In der Coronakrise hat sie sich Ansehen erworben. Unter ihrer Ägide schnürten die IWF-Mitglieder mehrere Hilfspakete für arme Länder. Dabei sticht die Aufstockung der globalen Währungsreserven um nie dagewesene 650 Mrd. Dollar hervor. Auch wird sie nicht müde, den Regierungen der Industrieländer ins Gewissen zu reden, Schwellen- und Entwicklungsländern stärker bei der Überwindung der Pandemie zu helfen. Gebetsmühlenartig fordert sie im Einklang mit Chefs anderer internationaler Organisationen eine gerechtere Verteilung von Impfstoffen, auf Kosten der Industrieländer. Georgiewa sieht darin einen Dienst an der Weltwirtschaft, wird sie doch nicht müde zu betonen, dass ansonsten reiche und arme Staaten wieder stärker auseinanderzudriften drohen. Im Rahmen der IWF-Jahrestagung ist wieder ein gemeinsamer Auftritt mit den Chefs von Weltbank, Welthandelsorganisation und Weltgesundheitsorganisation geplant.

Anwältin der Schwachen

Unter Georgiewa positioniert sich der IWF mehr denn je als Interessenvertretung der Schwächsten in der Weltwirtschaft. Den von Georgiewas Vorgängerin, der heutigen EZB-Chefin Christine Lagarde, eingeleiteten Wandel im Selbstverständnis haben Beobachter mit Erstaunen zur Kenntnis genommen. Schließlich war der IWF in den Hauptstädten von Schwellen- und Entwicklungsländern jahrzehntelang in Notlagen berüchtigt für sein Vorgehen, Fiskalhilfen nur unter strengen Spar- und Reformauflagen zu gewähren.

Im Oktober 2019 hatte Georgiewa beim IWF Lagarde beerbt. Sie wechselte innerhalb Washingtons von der Weltbank. Im Frühjahr 2019 stand sie für einige Monate an der Spitze der Weltbank, wo sie auf Jim Yong Kim folgte. Auch der Südkoreaner sieht sich Vorwürfen der Manipulation ausgesetzt. Begonnen hatte ihre Karriere bei der Weltbank 1993. Zwischenzeitlich ging sie nach Brüssel, wo sie von 2014 bis 2016 unter EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker Haushaltskommissarin war.

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