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Holger Härter verteidigt sich mit dem Filzstift

dpa-afx - Was nur in Gedanken kaum zu begreifen ist, wird als Zeichnung schwarz auf weiß manchmal verständlicher. Das muss sich auch Ex-Porsche-Finanzchef Holger Härter gedacht haben, als er seinen Auftritt vor dem Stuttgarter Landgericht...

Holger Härter verteidigt sich mit dem Filzstift

dpa-afx – Was nur in Gedanken kaum zu begreifen ist, wird als Zeichnung schwarz auf weiß manchmal verständlicher. Das muss sich auch Ex-Porsche-Finanzchef Holger Härter gedacht haben, als er seinen Auftritt vor dem Stuttgarter Landgericht vorbereitete. Dort wird dem einst als Sanierer gefeierten Manager seit Mittwoch der Prozess wegen Kreditbetrugs gemacht. Der studierte Volkswirt Härter beschloss, zum Start des Verfahrens etwas zu malen, damit das Gericht ein Gespür dafür bekommt, wie er mit dem kleinen Sportwagenbauer Porsche und ausgeklügelten Geldgeschäften den Riesenkonzern VW schlucken wollte.Härter nimmt also einen Filzstift in die Hand, erhebt sich von der Anklagebank, knöpft das Sakko seines dunkelblauen Anzugs zu und schreitet zu einer Stellwand mit Zeichenpapier. “Ich male jetzt mal kurz das Risikoprofil auf, und dann sehen Sie, was wir gemacht haben.” Mit lautem Quietschen zirkelt Härter eine horizontale Linie in die Mitte des Blattes. Er dreht sich um zum Vorsitzenden Richter Roderich Martis und doziert über den Sinn des Striches: “Das ist der fixierte Kaufpreis.” Dann kreuzt er das Werk mit einer Linie im 45-Grad-Winkel und sagt: “Das ist der VW-Kurs.” Was Härter aufmalt, ist ein Kern des Instrumentariums aus heiklen Finanzgeschäften, mit denen Porsche nach der Macht bei Volkswagen griff. Die gekreuzten Linien verdeutlichen eine Wette auf künftige Börsenwerte.Liegt der Kurs der VW-Aktien oberhalb der Linie, zahlt die Bank in festgelegten Zeitfenstern die Differenz, liegt er unterhalb, muss Porsche an das Geldhaus löhnen. Das Konstrukt sollte den Einstieg bei VW absichern, der fixierte Kaufpreis bot eine gewisse Sicherheit. “Keine Spekulation””Das war keine Spekulation”, betont Härter und führt das nächste Kapitel seiner Rede weiter. Diesmal geht es nicht um “Cash-settled Options”, sondern um die Übersetzung des “Net Purchase Price”. Den habe die Staatsanwaltschaft fehlerhaft als “Nettoliquiditätsbedarf” verstanden, dabei gehe es um “Nettoanschaffungskosten” oder auch den “Nettoerwerbspreis”. Die Anklage habe da etwas durcheinandergebracht.In dieser Art zieht sich Härters Vortrag über exakt 57 Minuten hin. Er argumentiert durchaus leidenschaftlich, aber nie laut, über die Zeit, in der er vor rund vier Jahren immer offensiver nach der Macht bei VW griff – und aus seiner Sicht weder riskant zockte noch den Banken mit krimineller Energie entscheidende Informationen vorenthielt.Die Staatsanwaltschaft hat freilich eine andere Sicht auf den in den vergangenen Jahren wohl spektakulärsten Krimi der Autobranche. Die Anklagevertreter beeindruckt weder Härters Malstunde noch sein Exkurs ins Fachvokabular. “Es sind keine Übersetzungsfragen, um die es hier geht”, sagt Oberstaatsanwalt Hans Richter. Porsche habe bei den Banken nachweislich nicht nur mit Angaben gegeizt, sondern die offene Kommunikation über die Risiken in den eigenen Büchern gescheut.Richter Martis muss nun Licht in die unterschiedliche Deutung von Vokabeln, Risikostrukturen und Gepflogenheiten bei Kreditgesprächen in Milliardenhöhe bringen. Einfach wird das nicht. Auch draußen vor dem Gerichtssaal ist das Rennen um die angeblich richtige Version schon in vollem Gang. Härters Anwältin Anne Wehnert ließ auf dem Flur Pressemitteilungen verteilen, damit auch kein Journalist die Meinung der Verteidigung verpasste, dass der Begriff “Net Purchase Price” “eindeutig definiert ist als Nettoanschaffungskosten”. Die Staatsanwaltschaft hätte es lieber gehabt, wenn Härter statt seines Monologs über Begrifflichkeiten aus der Anklageschrift direkt auf Fragen der Anklage eingegangen wäre. Das aber wird noch dauern – nach den Erklärungen der Angeklagten endete der Prozess zunächst. Bei den Staatsanwälten bleibt der Kurs unbeirrt: Vokabeln hin oder her, Härter und sein Team hätten getrickst und die Bank fehlinformiert. Bis zu drei Jahre HaftDem Ex-Finanzchef drohen in dem Verfahren bis zu drei Jahre Haft oder eine Geldstrafe in Höhe eines Jahresnettoeinkommens. Er steckt sein Vermögen inzwischen in Beteiligungen, die etwa in Technik für die Energiewende investieren. Auch an einer Whiskey-Destillerie ist er beteiligt und an einem Projekt, bei dem ein Altenheim entsteht. Für Härters ehemaligen Arbeitgeber Porsche ist die Bilanz des Krimis durchwachsen. Zwar hält die Porsche-Dachgesellschaft Porsche SE (PSE) gut 50 % an VW. Doch das reine Sportwagengeschäft ging im Zuge des gescheiterten Kampfes ganz an die Wolfsburger. Der guten Hälfte der VW-Aktien als Milliardenwert bei der PSE stehen andererseits auch Klagen in Milliardenhöhe gegenüber, mit denen Anleger im In- und Ausland Geld zurückfordern.