EU erreicht Gassparziel

Kadri Simson – Von der Hinterbänklerin zur Krisenmanagerin der EU-Kommission

Die Energiekrise hat die zuständige EU-Kommissarin Kadri Simson unerwartet ins Rampenlicht katapultiert und ihr viel Arbeit beschert. Nun hat sie einen wichtigen Erfolg zu verkünden.

Kadri Simson – Von der Hinterbänklerin zur Krisenmanagerin der EU-Kommission

Von der Hinterbänklerin
zur EU-Krisenmanagerin

Von Stefan Reccius, Brüssel

In ihrer Karriere als Energiekommissarin der Europäischen Union dürfte Kadri Simson kaum eine Aussage so leicht gefallen sein wie diese: "Die heutige Bestätigung, dass wir unsere Anforderungen zum Gasspeichern so weit vor dem Zeitplan erfüllt haben, unterstreicht, dass die EU gut auf den Winter vorbereitet ist." Dies werde in den kommenden Monaten zu einer weiteren Stabilisierung der Märkte beitragen.

Gasspeicherziel erreicht

Europas Gasspeicher haben die neuralgische 90-Prozent-Marke überschritten. Am Freitag meldete die gemeinsame Plattform der Speicherbetreiber einen durchschnittlichen Füllstand von exakt 90,12%. Die Zielvorgabe aus Brüssel dafür ist eigentlich der 1. November. Das sorgt unter Beobachtern für gewisse Zuversicht, dass eine befürchtete Gasmangellage auch in den kommenden Wintern ausbleibt.

Kadri Simson wäre keine gute Politikerin, würde die Estin eigenen Entscheidungen nicht einen gehörigen Anteil an diesem Zwischenerfolg beimessen. "Der EU-Energiemarkt befindet sich in einer wesentlich stabileren Lage als voriges Jahr um diese Zeit, was zu einem guten Teil auf die Maßnahmen zurückzuführen ist, die wir auf EU-Ebene ergriffen haben", lässt die 46-Jährige sich in einer Mitteilung zitieren.

Die studierte Historikerin und Politologin kam 2019 mit dreijähriger Erfahrung als Ministerin für Wirtschaft und Infrastruktur in ihrer estnischen Heimat nach Brüssel. In ihrer damaligen Amtszeit ab 2016 warnte sie immer wieder vor einer zu starken Abhängigkeit der europäischen Energieversorgung von Russland. Dabei äußerte sie Vorbehalte gegen den Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 an die deutsche Ostseeküste. Die Nord-Stream-Röhren, inzwischen stillgelegt und bei einer mysteriösen Explosion schwer beschädigt, sind zum Sinnbild deutscher Fehleinschätzungen geworden.

Überhaupt ist seit Russlands Einmarsch im Februar 2022 nichts mehr so, wie es einmal war in Europas Energiepolitik. Das gilt auch für Simson: Sie hat inzwischen eine deutlich gewichtigere Rolle, als sie selbst das zu Beginn ihrer Amtszeit geahnt haben wird. Aus der einstigen Hinterbänklerin ist im Kreise der 27 EU-Kommissare plötzlich eine zentrale Entscheidungsträgerin geworden, die Krisenmanagerin.

Habeck gibt sie Kontra

Einsparziele, Preisdeckel, Speichervorgaben, neue Lieferanten und eine gemeinsame Einkaufsplattform für Gas, dazu eine von höchster Stelle angestoßene Debatte über eine Übergewinnsteuer für Energiekonzerne und eine hochsensible Strommarktreform: Seit anderthalb Jahren hat Simson alle Hände voll zu tun. In der Regel nimmt sie sich dabei eher zurück, gerade weil sie um nationale Animositäten in der Energiepolitik weiß. Basta-Auftritte sind nicht ihre Sache, sie pflegt einen zurückhaltenden Stil.

Simson widersteht zumeist der Versuchung, den Energieministern in deren Belange hineinzureden. So betont sie die Neutralität der EU-Kommission, wenn es um den Energiemix geht. Mit einer von Frankreich angeführten Koalition führt sie Gespräche über eine gewünschte Förderung der Atomenergie. Mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck promotet sie die Wasserstoffwirtschaft.

Habeck musste feststellen, dass Simson gelegentlich auch austeilt. Sie äußerte sich kritisch über die von ihm vorangetriebene Idee eines speziellen Industriestrompreises. Stattdessen wirbt Simson für eigene Vorschläge, mit langfristigen Energieverträgen Planungssicherheit zu gewährleisten. Längst nicht das letzte Wort gesprochen ist auch in Sachen Strommarktreform. Hier hat Simsons Energieressort bewusst kosmetische Änderungen vorgeschlagen. Das entspricht eher der Linie der Bundesregierung, doch Spanien und Portugal sind auf Radikaleres aus.

Eine undankbare Aufgabe hatte Simson mit der Ausarbeitung eines Gaspreisdeckels. Etliche Mitgliedstaaten drangen auf einen solchen Markteingriff, als die Gaspreise vorigen Sommer verrückt spielten. Die Bundesregierung war dagegen, auch Simson haderte. Heraus kam ein fauler Kompromiss, den Experten einen "schlechten Witz" schalten.

Simson befürchtete seinerzeit, dass es zu neuerlichen Preisspitzen kommen würde, wenn die EU-Staaten diesen Sommer aufs Neue um Puffer für den Winter wetteifern. Das hat sich als Fehlannahme herausgestellt, was Simson kaum bedauern wird: Die Gasspeicher laufen schneller voll als erhofft – und vom verkorksten Gaspreisdeckel spricht niemand mehr.

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