Heidelberg Materials

Kimms Kampf mit einem Klimakiller

Nicola Kimm leitet seit September 2021 das neue Nachhaltigkeitsressort von Heidelberg Materials. Sie muss den Klimakiller Zement grün machen – eine Mammutaufgabe.

Kimms Kampf mit einem Klimakiller

Kimms Kampf mit einem Klimakiller

Von Helmut Kipp, Frankfurt

Kaum eine Branche bläst so viel CO2 in die Luft wie die Zementindustrie. Allein der weltweit viertgrößte Hersteller Heidelberg Materials kam im Jahr 2022 auf gut 61 Mill. Tonnen prozessbedingte Emissionen. Das Volumen entspricht etwa 8% des gesamten Kohlendioxidausstoßes Deutschlands, also Industrie, Verkehr und Gebäude zusammengenommen. Die Zementindustrie ist also ein echter Klimakiller. Damit das nicht so bleibt, gibt es bei Heidelberg Materials Managerinnen wie Nicola Kimm. Die gebürtige Kanadierin ist als Chief Sustainability Officer für Nachhaltigkeit verantwortlich, und zwar auf Vorstandsebene.

Mammutaufgabe

Kimm steht vor einer Mammutaufgabe. Denn kaum eine Branche ist so schwer zu dekarbonisieren wie Zement. Das hängt zum einen mit dem hohen Energiebedarf zusammen. So erfordert die Herstellung des Zwischenprodukts Klinker Temperaturen von 1.450 Grad. Diese Emissionen lassen sich durch Umstellung von fossilen auf alternative Brennstoffe wie Müll und Biomasse verringern, aber kaum beseitigen. Noch größer ist die Herausforderung bei den Emissionen durch die Entsäuerung des Kalksteins. Sie entstehen während des Produktionsprozesses und machen zwei Drittel des CO2-Ausstoßes aus. Hier bleibt im Wesentlichen nur die Möglichkeit, das Treibhausgas am Schornstein einzufangen und zu neutralisieren.

Neues Vorstandsressort

Kimm kam im September 2021 zu Heidelberg Materials. Sie ist das erste Vorstandsmitglied für Nachhaltigkeit – das Ressort wurde eigens neu geschaffen. Bei ihrer Berufung kam durchaus die Frage auf, ob sie sich gegen die starken Regional- und Werksleiter durchsetzen kann. Doch Kimm hat Vorstandschef Dominik von Achten an ihrer Seite, unter dem die Klimathematik viel mehr Gewicht bekommen hat. In Pressekonferenzen sitzt sie mit von Achten und CFO René Aldach auf dem Podium, was ihre Position unterstreicht.

Promovierte Ingenieurin

Als Chemieingenieurin verfügt die in Kanada geborene Kimm, die auch einen Abschluss in Umwelt hat, über beste Voraussetzungen für ihren Job. Sie studierte in Alberta und Calgary und promovierte in Volkswirtschaft und Ingenieurwesen am Karlsruher Institut für Technologie. Nach ihrem Berufsstart als Fertigungsingenieurin bei BASF in den USA und Stationen in Deutschland und Singapur wechselte sie 2008 als Senior Manager in die Nachhaltigkeitsabteilung des Chemiekonzern und ging 2011 als globale Leiterin Nachhaltigkeit zum niederländischen Hersteller von Lebensmittelzutaten Corbion.

Ab 2014 arbeitete Kimm für den Philips-Konzern und verantwortete ab 2016 den Bereich Nachhaltigkeit und Umwelt der abgespaltenen Lichttechnikfirma Signify. Bei Heidelberg Materials ist Kimm neben Umwelt, Soziales und Governance auch für Forschung und Entwicklung, Technologie und Partnerschaften zuständig.

Klimaziele verschärft

In der Öffentlichkeit tritt Kimm, die in wenigen Tagen ihren 54. Geburtstag feiert, zurückhaltend auf. Interviews haben Seltenheitswert. Einen Meilenstein setzte sie mit den neuen Nachhaltigkeitszielen, die im Mai 2022 auf dem Kapitalmarkttag präsentiert wurden. So soll der CO2-Ausstoß je Tonne Zement bis 2030 auf 400 Kilogramm sinken. Der alte Zielwert lautete auf weniger als 500 Kilogramm. Im Jahr 2022 waren es 551 Kilogramm, 2% weniger als im Jahr zuvor. Um die Vorgabe zu erreichen, müssen die Emissionen also um weitere 27% in acht Jahren sinken. Zudem sollen CO2-arme und Kreislaufprodukte 50% der Gruppenerlöse stellen. Im Einzelnen sieht der Fahrplan vor, den extrem klimaschädlichen Klinkeranteil auf unter 68 (2022: 71,6)% zu senken und den Anteil alternativer Brennstoffe auf 45 (28,7)% anzuheben.

Zementfabrik von Heidelberg Materials in Brevik: Das Werk in Norwegen ist das weltweit erste, das Carbon Capture in großem Stil einsetzt. Foto: Heidelberg Materials AG

Vor allem soll die Abscheidung von Kohlendioxid und seine Ablagerung in unterirdischen Speichern (CCS) forciert werden. Allerdings setzt der Bau solcher Anlagen derzeit hohe Subventionen durch staatliche Stellen voraus. Bis 2030 wollen die Heidelberger 10 Mill. Tonnen CO2 durch CCS einsparen. Vorreiter ist das Werk im norwegischen Brevik, aus dem seit kurzem der weltweit erste Net-Zero-Zement auf CCS-Basis kommt. Die Anlage im kanadischen Edmonton soll 2026 den Betrieb aufnehmen und jährlich mehr als 1 Mill. Tonnen CO2 abscheiden.

Diverse Großprojekte

Weitere Großprojekte gibt es in Großbritannien, Bulgarien, Belgien, Schweden und in den USA. In Deutschland bringt Heidelberg Materials derzeit die Dekarbonisierung des Werks im nordrhein-wertfälischen Geseke auf den Weg. Die EU fördert das Vorhaben mit 191 Mill. Euro, der Betriebsstart ist für 2029 geplant. Das abgeschiedene CO2 soll dann per Zug an die Küste gebracht und in unterirdische Speicher in der Nordsee eingebracht werden. Noch ist CCS in Deutschland de facto verboten, aber der Widerstand nimmt ab. In der Politik wächst die Einsicht, dass ohne diese Technologie die grüne Transformation wichtiger Industriebranchen nicht zu schaffen ist. Kimm vertraut darauf, dass der Erkenntnisprozess vorankommt: „CCS ist eine Grundvoraussetzung für unsere Industrie, um Net-Zero-Emissionen zu erreichen, und entscheidend für nachhaltiges Bauen.“

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