BGH

König vermeidet den Paukenschlag

Andreas Voßkuhle hat es begonnen, Doris König muss es nun beenden. Als Nachfolgerin des ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) an der Spitze des Zweiten Senats hat sie die Federführung in Sachen EZB-Staatsanleihe-Kaufprogramm...

König vermeidet den Paukenschlag

Von Alexandra Baude, Frankfurt

Andreas Voßkuhle hat es begonnen, Doris König muss es nun beenden. Als Nachfolgerin des ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) an der Spitze des Zweiten Senats hat sie die Federführung in Sachen EZB-Staatsanleihe-Kaufprogramm übernommen. Der Beschluss, ob Bundesregierung und Bundestag die Staatsanleihenkäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) hinreichend überprüft haben oder nicht, war mit Spannung erwartet worden. Der Paukenschlag ist aber ausgeblieben, die Vollstreckungsanträge zum Urteil des Zweiten Senats aus dem Mai 2020 zum PSPP-Anleihekaufprogramm der EZB wurden als unzulässig und unbegründet abgewiesen (Az. 2 BvR 1651/15 und 2 BvR 2006/15).

Das BVerfG hatte vor ziemlich genau einem Jahr mit seinem Urteil zu den billionenschweren EZB-Anleihekäufen für eine faustdicke Überraschung gesorgt und eine intensive Debatte über die Zukunft der Rechtsprechung in Europa sowie der Währungsunion und der Euro-Geldpolitik ausgelöst. Zum ersten Mal in seiner Geschichte setzte sich das Gericht über ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hinweg, indem es die Käufe der EZB für teilweise grundgesetzwidrig erklärte.

Auch wenn der gestern veröffentlichte Beschluss so erwartet worden war – eine unbekannte Größe gab es doch. Denn Mitte Januar hatte der Zweite Senat einem Ablehnungsgesuch des Klägers, des früheren CSU-Politikers Peter Gauweiler, stattgegeben: Eine Mehrheit der Richter entschied, dass Äu­ße­run­gen zum EZB-Ur­teil in der Zeit zwi­schen Wahl und Er­nen­nung von Astrid Wallrabenstein zur Richterin am BVerfG Zwei­fel an ihrer Un­par­tei­lich­keit be­grün­den könn­ten. Konkret ging es um zwei auf einem Interview basierende Beiträge in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Darin wird die 1969 in Münster/Westfalen geborene Wallrabenstein auch mit der Aussage zitiert, sie wisse nicht, „ob es letztlich so wichtig ist, dass die verlangte Erklärung der EZB in einem neuen Beschluss des Rates ergeht“. Ihre Äußerung, nach einem Streit solle man auch irgendwann „Entschuldigung“ sagen und „Schwamm drüber, lasst uns nach vorne blicken,“ könne so gedeutet werden, dass sie das EZB-Urteil für falsch halte, hieß es in dem Beschluss. Als Vertretung der verheirateten Mutter zweier Kinder wurde Ines Härtel aus dem Ersten Senat per Los bestimmt.

Die 1972 im sachsen-anhaltischen Staßfurt geborene Juraprofessorin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder hatte so gut wie niemand auf der Rechnung im monatelangen Konflikt, wer Mitte 2020 die Nachfolge von Johannes Masing antreten soll. Drei Männer galten als potenzielle Kandidaten, doch Ihnen fehlte eines: der DDR-Hintergrund. Brandenburgs SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke hatte mit dieser Forderung eine Menge Staub aufgewirbelt, denn normalerweise läuft die Wahl im Stillen ab. Härtel konnte neben der Ostbiografie vor allem mit ihrem Spezialgebiet punkten: Datenschutzrecht und Digitalrecht – Themen, die zuvor Masing bearbeitete.

Geräuschloser verliefen die anderen Richterwechsel im vergangenen Jahr. Nachdem Voßkuhle Mitte Mai turnusgemäß nach zwölf Jahren in Karlsruhe aus dem Amt geschieden war, rückte dem ungeschriebenen Gesetz gemäß der Vize an die Spitze: Der frühere Wirtschaftsanwalt und Bundestagsabgeordnete Stephan Harbarth (49) war seit Ende 2018 Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts und Vorsitzender des Ersten Senats. Die 1957 geborene König rückte dann im Juni 2020 zur neuen Vizepräsidentin des höchsten deutschen Gerichts auf und wurde zudem zur Vorsitzenden des Zweiten Senats ernannt. Voßkuhles freie Richterstelle im Zweiten Senat ging an Wallrabenstein, die seit 2010 die Professur für öffentliches Recht mit einem Schwerpunkt im Sozialrecht an der Frankfurter Goethe-Universität innehat.

Die in Kiel geborene König wechselte bereits im Juni 2014 als Richterin nach Karlsruhe, nachdem sie zwei Jahre lang Präsidentin der Hamburger Bucerius Law School war. Ihre Spezialgebiete sind das internationale See- und Umweltrecht sowie das europäische Integrationsrecht. Bislang hat sie in Karlsruhe zwei abweichende Meinungen abgegeben.

Protokollarisch steht der Präsident des BVerfG im Staat an der fünften Stelle. Bundesverfassungsrichter werden mit Zweidrittelmehrheit wechselweise von Bundestag und Bundesrat gewählt. Den Kandidaten schlägt traditionell eine der Parteien vor – so wurde Harbarth von der CDU vorgeschlagen, Wallrabenstein von den Grünen, Härtel und König von der SPD. Sind die Richter im Amt, entscheiden sie unabhängig ohne parteipolitische Bindung. Die Stimme des Vorsitzenden und Präsidenten hat bei Urteilen nicht mehr Gewicht als die der anderen Richter.