Twitter-Alternative

Mastodon-Gründer Eugen Rochko ringt mit sich selbst

Frustriert kehren Nutzer Twitter den Rücken zu und laufen zu Mastodon über. Doch der Kurzmitteilungsdienst wird dadurch überlastet. Der Gründer scheut die Expansion mittels Wagniskapital.

Mastodon-Gründer Eugen Rochko ringt mit sich selbst

Von Björn Godenrath, Frankfurt

So manches im Leben hört sich zu schön an, um wahr zu sein. Das ist leider auch der Fall für die Twitter-Alternative Mastodon, die von Gründer Eugen Rochko bewusst als Antithese zu den Plattformen von US-Tech-Milliardären geschaffen wurde. Twitter stand zunächst unter der Fuchtel des „woken“ Gründers Jack Dorsey, der über seine Teams zur Inhaltekontrolle mit linkem politischen Impetus dafür sorgte, dass zum Beispiel der damalige US-Präsident Donald Trump seinen Twitter-Account verlor. Seit Elon Musk das Ruder übernahm, schlägt das Pendel zurück und Protagonisten der politisch rechten Szene erhalten mehr Freiheiten. Im Rahmen der Offenlegungen der „Twitter Files“ wurde dabei auch bekannt, dass es zum „shadow banning“ kam: Die Reichweite von Tweets/Konten, die den Zensoren nicht geheuer waren, wurde in der Ära Dorsey unbemerkt im Hintergrund beschränkt – ein Verfahren zur Manipulation des Algorithmus, das sicher nicht ins demokratische Spektrum passt.

Von Elon Musks Eskapaden haben dermaßen viele Nutzer die Schnauze voll, dass sie zu Mastodon flüchteten in der Hoffnung auf eine friedliche Heimat. Allerdings ist Mastodon auf diesen Ansturm nicht ausreichend vorbereitet: Wie Rochko gegenüber „Techcrunch“ erklärte, habe man derzeit 2,5 Millionen aktive monatliche Nutzer, die über 8600 Server gemanagt würden – und man habe die eigenen Server für neue Regis­trierungen gesperrt. Da Rochko quasi der einzige Angestellte bei Mastodon ist, kriegt er die Organisation auf gehobenem Niveau nicht mehr hin.

Das liegt daran, dass Rochko einen sehr behutsamen dezentralen Ansatz gewählt hat, der über ein Non-Profit bewirtschaftet wird und sich über Crowdfunding (Patreon) finanziert – monatlich kommen so gut 30000 Dollar zusammen. Das ist nicht der Hyperscaling-Ansatz, und das soll es auch nicht werden. Denn Rochko will seine Plattform werbefrei und Open Source halten, räumt allen Nutzern und Serverbetreibern das Recht ein, die Hoheit über ihre Daten zu behalten und damit eine eigene (werbefinanzierte) Plattform aufzubauen.

Ein Träumer ist der 29-Jährige aber nicht, räumt er doch ein, das fairste Modell sei eines mit kostenpflichtigen Konten – nur will er selbst so etwas nicht machen. Venture Capital will er bestenfalls für das Hosting akzeptieren. In seinem Dialog mit „Techcrunch“ wird offenbar, wie er mit sich selbst ringt und den Widersprüchen beim Mastodon-Ausbau – in seinem Herzen ist er einfach ein Programmier, der nicht voll in das kapitalistische Spiel mit der Gewinnmaximierung einsteigen will. Allerdings ist es so, dass auf der Basis von Spenden kein globaler Geschäftsbetrieb erfolgen kann.

In Jena zu Hause

Seine gesellschaftliche Prägung erfuhr Rochko in Deutschland. Mit elf Jahren kam er mit seiner (jüdischen) Familie aus Russland nach Jena, wo er an der Friedrich-Schiller-Universität studierte und einen Abschluss in Computerwissenschaften erwarb. Aufgewachsen ist er mit der ersten Generation der Social Networks wie Facebook, deren Datenhunger und Kommerzialisierung für ihn Anlass genug war, ein Gegenmodell zu entwerfen. 2016 war eine erste Version von Mastodon fertig.

Aber ist es wirklich so viel besser auf Mastodon? Nutzer berichten von überschaubarem Dialog und dass sie beim Posten von (angeblich) kontroversen Inhalten sofort vom Adminis­trator (gemäß seinem Weltbild) rausgeschmissen wurden. Die Lehre von der Geschichte: Ohne eine gewisse Form von Zensur geht es nicht, und man kommt als Nutzer nicht umhin, das für sich selbst kleinste Übel zu akzeptieren. Viele kommen auch wieder zurück zu Twitter, denn dort ist für Unterhaltung und Reichweite gesorgt – und es gibt viele kleine Ecken für die schönen Dinge des Lebens.

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