Qians halsbrecherische Expansion mit Luckin Coffee
Von Norbert Hellmann, SchanghaiWer einen unternehmerischen Background aus dem Transportgewerbe mitbringt, hat es möglicherweise besonders eilig und versteht etwas davon, wie man rasch von A nach B kommt. Vielleicht ist das ein entscheidender Faktor, der die rasante Erfolgsstory der chinesischen Kaffeehauskette Luckin Coffee und ihrer Chefin und Mitgründerin Qian Zhiya (42) erklärt.Qian hat es in jedem Fall eilig, sehr eilig sogar. Die im Herbst 2017 gegründete und Anfang 2018 mit den ersten Filialen an den Start gegangene Gesellschaft ist nun auf dem Sprung an die New Yorker Börse. Da an chinesischen Börsen eine längere Bilanzhistorie vorgezeigt werden muss, erweist sich New York als Alternative, um mittels IPO rasch zu frischem Kapital und einer Börsenbewertung zu gelangen.Luckin Coffee wird noch lange nicht profitabel sein und ist mit einem hohen Kapitalverbrauch (Cashburn) unterwegs. An Wall Street dürfte man aber den Plänen von Qian aufgeschlossen gegenüberstehen. Schließlich hat man es mit einem Gastronomiebetrieb im Gewand eines Technologieunternehmens zu tun, das es in China auf ein atemberaubendes Wachstum bringt. Qian hat es binnen kürzester Zeit geschafft, mit einem an den Kundenbedürfnissen junger technologieaffiner Chinesen orientierten Konzept den chinesischen Kaffeemarkt aufzurollen und dabei den dort seit 20 Jahren etablierten Marktführer Starbucks regelrecht zu überrollen.Chinas junges urbanes Publikum hat sich in den letzten Jahren immer stärker der Caffè-Latte-Kultur verschrieben und bietet damit enormes Wachstumspotenzial. Bislang war es aber weder heimischen noch ausländischen Konkurrenten gelungen, Starbucks das Terrain streitig zu machen. Luckin jedoch hat mit einem von anderen chinesischen Online-Dienstleistern und ihrem starken App-Auftritt entlehnten Konzept die Dinge in Bewegung gebracht.Chinas junge Büroangestellte wollen immer mehr Kaffee – aber sie wollen ihn schnell haben, mit dem Smartphone bestellen und bezahlen und legen oft keinen Wert auf das Oasenkonzept von Starbucks mit ansprechenden Räumlichkeiten, die den hohen Preis rechtfertigen. Vielmehr geht es darum, vor allem in Mittagspausen rasch zum Kaffeegenuss zu kommen und der bei Starbucks üblichen langen Warteschlange zu entgehen.Daher hat Qian ein neues Format für eine schnelllebige Kaffeekultur im Reich der Mitte geschaffen. Luckin Coffee zieht in einem atemberaubenden Tempo neue, zum Teil winzige Dependancen auf, in denen es lediglich darum geht, Kaffee zu kochen und schnell an den Kunden zu bringen – im Zweifelsfall per Lieferdienst. Order und Bezahlung erfolgen ausschließlich digital über die App. Der rasende Erfolg des Konzepts ist im Zweifel einer Mischung aus Retail- und Logistikkonzept zu verdanken, welches sich Qian im Autovermietungsgeschäft sowie in der Sharing Economy mit Fahrdienstvermittlung angeeignet hat.Qian, die passenderweise aus Wuhan stammt – einer Stadt mit starker Autotradition, die auch als das Detroit Chinas bezeichnet wird -, hatte sich ihre unternehmerischen Sporen als Managerin beim Autovermieter Shenzhou Group verdient. Ihr Entrepreneurs-Talent konnte sie dann bei Ucar verwirklichen; einer von Shenzhou abgespalteten Gesellschaft mit einer Plattform für internetgestützte Fahrvermittlungs- und Transportdienste.Der Rest ist Geschichte. Im Herbst 2017 verwirklichte Qian ihren Traum von einem eigenen Start-up-Unternehmen, das sie als Chief Executive zusammen mit einer Reihe von Verbündeten, die ebenfalls von Ucar kamen, führt und blitzschnell auf Touren brachte.Mit der Kapitalaufnahme an der Börse kann das halsbrecherische Expansionstempo mit rund 2 500 geplanten neuen Kaffeeverkaufsstellen in diesem Jahr über einen finanziellen Airbag abgesichert werden.