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Reitzle überlässt die Bühne Angel und Belloni

Von Joachim Herr, München Börsen-Zeitung, 3.6.2017 Ein kurzes Lächeln und ein Handschlag für die Fotografen - dann nehmen die drei Fusionsarchitekten Platz: Aldo Belloni, der Vorstandschef von Linde, und Steve Angel, der CEO von Praxair, auf dem...

Reitzle überlässt die Bühne Angel und Belloni

Von Joachim Herr, MünchenEin kurzes Lächeln und ein Handschlag für die Fotografen – dann nehmen die drei Fusionsarchitekten Platz: Aldo Belloni, der Vorstandschef von Linde, und Steve Angel, der CEO von Praxair, auf dem Podium, direkt vor ihnen der Linde-Aufsichtsratsvorsitzende Wolfgang Reitzle in der ersten Stuhlreihe. So setzt Reitzle in der Pressekonferenz am Freitag ein Signal gegen die Kritik von Aktionären. Sie hatten ihm auf der Hauptversammlung vor gut drei Wochen vorgehalten, die Rollenverteilung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat zu verwischen.Im Münchner Nobelhotel “Vier Jahreszeiten” sind die Verhältnisse klar. Nach der Begrüßung will Angel, der designierte Chef des gemeinsamen Industriegasekonzerns, mit seinem Vortrag gleich loslegen. Doch die Regie bestimmt, dass Belloni beginnt. Der Linde-Chef spricht Deutsch. Auch das ist ein Signal – von wegen Amerikanisierung. Es soll schließlich ein Zusammenschluss unter Gleichen werden. Zehn Stunden DiskussionIn der Frage-und-Antwort-Runde mit den Journalisten ergreift Reitzle das Wort, wenn es um den Aufsichtsrat geht. Themen sind natürlich der Konflikt mit der Arbeitnehmerseite und das knappe Abstimmungsergebnis für den Fusionsvertrag am Vortag (vgl. BZ vom 2. Juni). Reitzle überrascht mit der Behauptung: “Schon gestern Abend haben wir einen Konsens hergestellt.” Von einem Friedensschluss will er zwar nicht sprechen, aber die zehn Stunden lange Diskussion im Aufsichtsrat sei fair, offen und sachorientiert gewesen. Er gibt sich zuversichtlich, dass bald wieder Ruhe in den Konzern einkehrt.Die Pressemitteilung der IG Metall vermittelt einen ganz anderen Eindruck. Die Spitzen von Vorstand und Aufsichtsrat hätten keine Gesprächsbereitschaft gezeigt, schimpft Jürgen Wechsler, der bayerische Bezirksleiter der Gewerkschaft. “Es ist ein Bruch mit der deutschen Industriegeschichte, solch eine sehr knappe Entscheidung brachial durchzupeitschen, statt einen Konsens zu suchen.” Eine Fusion gegen den Willen der Beschäftigten könne nicht funktionieren.Wechslers Sichtweise und die des Managements haben so viel Gemeinsames wie Tag und Nacht. Belloni berichtet von einer Betriebsversammlung mit mehr als 1 000 Mitarbeitern am Standort Pullach bei München. Dort sei er heute um acht Uhr mit Angel gewesen. Es habe Applaus gegeben. “Wir können auf neuer Basis, mit einem Konsens an die Aufgabe herangehen.”Und was hält der Amerikaner von dem Hickhack? “Die Beschäftigten haben das Recht zu protestieren”, sagt Angel. Er strebe ein gutes Verhältnis mit ihnen an, sie seien ein entscheidender Stakeholder des Unternehmens, aber es gebe noch andere. “Ich glaube nicht, dass wir ein Problem haben”, meint Angel. Wichtig sei die Kommunikation mit den Beschäftigten und die Bereitschaft, ihre Bedenken ernst zu nehmen.Angel kommt auf der Pressekonferenz konzentriert, gelassen und sachlich rüber. Zu Beginn dieses Jahres hatte er mit einem selbstbewussten Auftritt in den USA die Mitarbeiter von Linde verunsichert. Da hatte er keine Zweifel gelassen, dass sein Unternehmen auf dem Fahrersitz sei und der gemeinsame Konzern nach dem operativen Modell von Praxair geführt werde. “Sonst wären wir ja dumm”Angel erklärt in der bayerischen Landeshauptstadt, die Ansprache habe er an Zuhörer von Praxair gerichtet. Dort habe es Bedenken wegen der Fusion gegeben, und er habe klarstellen wollen, dass der seit 15 Jahren erzielte Erfolg des Geschäftsmodells nicht gefährdet sei. Mit dem Modell von Linde gebe es viele Ähnlichkeiten, fügt Angel in München hinzu. Das Beste von beiden Unternehmen werde zusammengeführt. “Sonst wären wir ja dumm.”Auch die alten Gemeinsamkeiten werden an diesem Tag beschworen. Das Vorgängerunternehmen von Praxair hatte Carl von Linde 1907 in den USA gegründet. “Irgendwo gehören die Firmen historisch gesehen sowieso zusammen”, formuliert es Reitzle und verrät, schon am Anfang dieses Jahrtausends habe es einen Annäherungsversuch beider Konzerne gegeben. “Damals hätte das aber nicht gepasst.” Linde sei noch ein Konglomerat gewesen, Praxair schon ein klar auf Industriegase fokussiertes Unternehmen. Jetzt habe Linde die Hausaufgaben gemacht. Mit der Fusion werde ein Schiff gebaut, “das anders durch die Weltmeere pflügt als Praxair oder Linde allein”.Als Vorsitzender des Verwaltungsrats will Reitzle dieses Schiff mindestens bis 2021 steuern: “Die ersten drei Jahre sind die entscheidende Integrationsphase.” Die soll nach dem Vollzug des Zusammenschlusses beginnen. Das sogenannte Closing wird für die zweite Hälfte des nächsten Jahres erwartet.