PERSONEN

Samwers Problem mit dem Cash-Berg

Von Helmut Kipp, Frankfurt Börsen-Zeitung, 22.6.2019 Was nun, Herr Samwer? Diese Frage stellt sich bei Rocket Internet mit zunehmender Dringlichkeit. Die meisten großen Beteiligungen sind an der Börse. Jetzt ist die Kasse voll, aber die Pipeline...

Samwers Problem mit dem Cash-Berg

Von Helmut Kipp, FrankfurtWas nun, Herr Samwer? Diese Frage stellt sich bei Rocket Internet mit zunehmender Dringlichkeit. Die meisten großen Beteiligungen sind an der Börse. Jetzt ist die Kasse voll, aber die Pipeline leer. Der Cashbestand des Start-up-Finanzierers, an dessen Spitze der Mitgründer Oliver Samwer steht, ist per Mitte Mai auf 3,1 Mrd. Euro angeschwollen. Das entspricht etwa vier Fünftel des zuletzt auf knapp 4 Mrd. Euro gestiegenen Börsenwerts.Nun kann es nicht Aufgabe eines Internetunternehmers sein, Bargeld zu horten. Oliver Samwer, Oli genannt, versteht seine Company als Inkubator für webbasierte Geschäftsmodelle. Mit dieser Geschäftsidee kam das 2007 gegründete Unternehmen im Herbst 2014 an der Börse. Tatsächlich spricht der 46-Jährige regelmäßig davon, nach Firmen aus den Bereichen Software, künstliche Intelligenz und B2B-Geschäfte oder Fintechs Ausschau zu halten. Passiert ist nicht viel. Seit Januar 2018 hat Rocket nach Angaben von Ende Mai zehn neue Geschäftsmodelle inkubiert – ziemlich wenig für einen Zeitraum von fast eineinhalb Jahren.Es sei schwieriger geworden, Gründer und Ideen zu finden und mit ihnen Unternehmen aufzubauen, räumte Samwer unlängst auf der Hauptversammlung ein. Im Moment sei die Pipeline ein bisschen dünn. Man habe mehr Kapital als Ideen. Dass sich der für aggressive Auftritte bekannte Samwer in Bescheidenheit üben muss, hat nicht zuletzt damit zu tun, dass sich die Märkte für Online-Handel verändert haben. Sie sind reifer geworden und mitunter weitgehend verteilt. Hinzu kommt, dass die Konkurrenz unter den Geldgebern zugenommen hat. Wagniskapital bekommen Gründer auch woanders, nicht nur bei Rocket.Inzwischen soll Samwer sogar mit einem Rückzug von der Börse liebäugeln. Als wahrscheinlichste Option gilt laut einem Bericht im “Manager Magazin”, dass das Unternehmen so viele Aktien wie möglich zurückkauft, während Großaktionär Samwer an seinem Paket festhält. Damit würden die schon in der Vergangenheit aufgelegten Rückkaufprogramme fortgesetzt, und zwar in vermutlich erheblich größerem Stil. Der nach wie vor niedrige Aktienkurs würde steigen und der Cash-Berg dahinschmelzen. Zugleich wäre es ein Eingeständnis des Scheiterns: Vom einstigen Anspruch, eine der weltgrößten Internet-Companies zu bilden – dieses Ziel hatte Samwer in einem flammenden Appell an seine Mannschaft vor dem IPO ausgegeben – bliebe kaum etwas übrig. Einstieg in den AusstiegDie rund 200 nicht börsennotierten Rocket-Beteiligungen stecken in aller Regel in einem frühen Entwicklungsstadium. Es dauert, bis daraus halbwegs etablierte Unternehmen werden. Den Wert dieser Engagements veranschlagt die Samwer-Truppe auf insgesamt 1,2 Mrd. Euro. Im Schnitt sind das gerade mal 6 Mill. Euro pro Beteiligung. Neue Blockbuster sind also nicht in Sicht.Oli gründete Rocket vor zwölf Jahren mit seinen Brüdern Marc und Alexander. Die Söhne des bekannten Kölner Rechtsanwalts Sigmar-Jürgen Samwer galten damals als Wunderkinder des deutschen Internets. Ihr Aushängeschild ist der Online-Modehändler Zalando. Groß wurden die Samwers damit, Geschäftsideen zu kopieren und in verschiedenen Ländern an den Markt zu bringen.Angesichts der inzwischen begrenzten Investitionsmöglichkeiten als Internetinkubator sieht sich der CEO nach neuen Geschäftsfeldern um. Daher ließ er auf der Hauptversammlung die Satzung ändern. Der Geschäftszweck wurde erweitert, so dass Rocket künftig auch Dienstleistungen für alle möglichen Bereiche – von Finanzen über Industrie und Energie bis zu Gesundheit und Technologie – anbieten kann. Überdies sollen Immobiliengeschäfte betrieben werden. Die alten Kernbeteiligungen hat Samwer an die Börse bringen lassen, zuletzt das Internet-Kaufhaus Jumia, das als “Amazon für Afrika” an der New York Stock Exchange Furore macht. Derzeit läuft das IPO des Online-Modehändlers Global Fashion, eine Art Zalando-Klon für Schwellenländer, den es an die Frankfurter Börse zieht. Zuvor hatten der Online-Händler für Deko-Artikel und Möbel Westwing, der Online-Möbelhändler Home24, der Kochboxversender Hellofresh und der Essenslieferdienst Delivery Hero ein IPO hinter sich gebracht.Der Börsengang einer Beteiligung ist meist als Einstieg in den Ausstieg zu verstehen: Sind die Haltefristen abgelaufen, läutet Samwer gern den Rückzug ein. Bei Hellofresh und Westwing hat sich Rocket inzwischen komplett aus dem Aktionärskreis verabschiedet, die Delivery-Hero-Beteiligung ist zum Minipaket von 1 % geschrumpft. Auch bei Home24 wurde kräftig abgebaut – zum Ärger anderer Aktionäre, die Rocket für das Kurs-Waterloo (mit)verantwortlich machen. Die vor einem Jahr zu 23 Euro emittierte Home24-Aktie ist aktuell an der Börse nicht einmal 4 Euro wert. Ein ähnliches Desaster verzeichnet übrigens die im Oktober 2018 zu 26 Euro platzierte Westwing. Auch hier spielten – neben operativen Problemen in Italien – Aktienverkäufe von Rocket eine Rolle.