Thyssenkrupps Überlebenskünstler Kerkhoff
Von Christoph Ruhkamp, FrankfurtGuido Kerkhoff ist ein Überlebenskünstler. Ihm wird ein guter Instinkt dafür nachgesagt, sich in schier aussichtslosen Situationen am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. So wie einst der berühmte Baron Münchhausen. Nach dem turbulenten Ausscheiden des Vorstandsvorsitzenden Heinrich Hiesinger im Juli 2018 kam der vormalige Finanzvorstand Kerkhoff zunächst nur als Übergangschef an die Spitze von Thyssenkrupp. Es brauche langfristig jemand Externen als CEO, der nicht vorbelastet ist, hieß es eine Weile – und der zeitweilig eingestiegene Finanzinvestor Elliott forderte dies sogar öffentlich. Doch dann blieb Kerkhoff dauerhaft an der Spitze.Die IG Metall unterstützte den heute 52-jährigen Manager, der vor seinem Wechsel zu Thyssenkrupp im April 2011 Europachef der Telekom war, als das für uns in dieser Situation “kleinere Übel”, wie sich ein hochrangiger Gewerkschaftssekretär ausdrückte. Damals trat Kerkhoff noch locker-flockig nach Art eines New-Economy-Managers auf.Das Staatsmännische in der Außendarstellung hatte er bis dahin CEO Hiesinger überlassen. Doch dann wurde er – quasi aus der Not heraus – schnell seriöser. Der Bielefelder BWLer schaffte im Spätsommer und Frühherbst 2018 das zunächst unmöglich Erscheinende: Er fand einen diplomatischen Kompromiss für die strategische Fortentwicklung des Konzerns – zwischen den Zerschlagungsinteressen des Finanzinvestors Cevian und dem Interesse am Erhalt des Status quo der IG Metall und der Krupp-Stiftung. Die Idee von der Aufspaltung war geboren. Von der Idee zur MakulaturNur acht Monate später ist sie schon wieder Makulatur. Kerkhoff propagiert nun einen Börsengang der Aufzugssparte – des Kronjuwels des Konzerns – als die bessere Option. Und wieder scheint er sein Überleben an der Spitze des Konzerns zu sichern: Der Kapitalmarkt reagiert – wie auch beim Aufspaltungsplan im September – zunächst begeistert: Der Aktienkurs stieg am Freitag um gut 20 %. Auch der großteils neu zusammengesetzte Aufsichtsrat unter der ehemaligen Bosch-Managerin Martina Merz als Chefkontrolleurin scheint Kerkhoff Unterstützung für seine strategische Kehrtwende signalisiert zu haben.Kerkhoff, der noch nicht einmal ein Jahr im Amt ist, legt mit der Aufspaltung und der Tata-Fusion seine beiden wichtigsten Projekte schon wieder zu den Akten. Stattdessen denkt der Manager nun über eine Holdingstruktur nach, bei der die lukrative Aufzugssparte abgespalten oder teilweise an die Börse gebracht werden könnte. Ob ihm das am Ende den Job rettet, ist offen.Nichts fürchten die Thyssenkrupp-Aufsichtsräte mehr als eine Rückkehr zu den chaotischen Zuständen vor fast einem Jahr nach dem überstürzten Rücktritt von CEO Hiesinger und Chefkontrolleur Ulrich Lehner. Selbst wenn einige der Aufsichtsräte es für wünschenswert hielten, die Strategie des Konzerns von einem neuen Manager ausarbeiten zu lassen, der nicht mehr in Verbindung steht mit den Querelen der Vergangenheit: Es fehlt eine zeitnah verfügbare personelle Alternative zum zupackenden Kerkhoff.Selbst der sonst äußerst kritische Deka-Fondsmanager Ingo Speich muss Kerkhoff zugestehen, jetzt die richtige Entscheidung getroffen zu haben – wenngleich mit einem Seitenhieb auf die vorherige Fehlentscheidung: “Die Absage der geplanten Teilung von Thyssenkrupp ist ein Schritt in die richtige Richtung. Mit den geplanten Doppelstrukturen wäre es nicht zu einer Kostenentlastung gekommen. Dass auch die Anleger einem solchen Weg nicht vertraut haben, zeigt die desaströse Entwicklung des Aktienkurses.” Noch nicht aus dem SchneiderGanz aus dem Schneider ist Kerkhoff aber auch am Kapitalmarkt noch nicht. Unter anderem Morgan Stanley hat noch Zweifel am neuen Kurs. “Wie werden die Schulden zwischen der Aufzugssparte (die an die Börse geht) und dem Rest des Konzerns aufgeteilt – angesichts der anhaltenden Geldverbrennung im Rest des Konzerns?”, fragt Analyst Alain Gabriel. Wie schon beim letzten Mal droht der große strategische Wurf des Guido Kerkhoff, der vom Kapitalmarkt auch dieses Mal gefeiert wird wie beim letzten Mal, an dem Teufel zu scheitern, der im Detail steckt.