Investor Relations

Ein Trendsetter der Investor Relations verlässt die Allianz

Oliver Schmidt hat die Disziplin Investor Relations maßgeblich geprägt. 27 Jahre führt er die entsprechende Abteilung der Allianz, nun steht er kurz vor dem Ruhestand. Leidenschaft und Fachkenntnis verkörpert er wie kaum ein Zweiter.

Ein Trendsetter der Investor Relations verlässt die Allianz

Ein Trendsetter der Investor Relations verlässt die Allianz

In der Allianz-Gruppe endet eine Ära. Kein Manager hat die Investor-Relations-Arbeit in Deutschland als Trendsetter so geprägt wie Oliver Schmidt. Seit 27 Jahren führt er die IR-Abteilung des Versicherers, Ende März macht der 60-Jährige Schluss mit den Doppelschichten, der Fremdsteuerung und dem Wochenend-Einsatz. Denn irgendwann darf es gedrosselter zugehen. „Wenn man den Job wirklich gut machen will, arbeitet man rund um die Uhr“, weiß er.

Wer Schmidt dieser Tage begegnet, der kann trotzdem kaum glauben, dass der verheiratete Vater eines Sohnes wirklich die Allianz verlässt und seine Stelle an den 48-jährigen Andrew Ritchie von Autonomous/Bernstein übergibt. Der drahtige Finanzkenner, der jeden Morgen auch bei Regen und Kälte 20 Minuten zum Büro in die Münchner Königinstraße radelt, sprüht unverändert vor Energie. Kein Wunder, denn: „Mein Job ist einer der besten Arbeitsplätze im ganzen Konzern.“

„Sie verdienen eine Medaille“

Wichtiger aus Konzernsicht mag noch sein: Er ist einer der Besten auf seinem Arbeitsplatz. Die Resonanz auf Schmidts Entscheidung innerhalb der Gemeinde der Versicherer-Analysten spricht eine klare Sprache. Schmidt habe „die Rolle der Versicherungs-IR zu dem gemacht, was sie heute ist“, konstatiert Andrew Sinclair, der das Assekuranz-Research der Bank of America Merrill Lynch verantwortet. Peter Elliott von Kepler Cheuvreux stellt lapidar fest, es werde sehr seltsam sein ohne den IR-Chef der Allianz.

William Hawkins, der das europäische Aktien-Research von Keefe, Bruyette & Woods leitet, betont, nur wenige Menschen hätten einen solchen Beitrag geleistet zur Entwicklung des IR-Berufs. Hawkins richtet sich direkt an Schmidt: „Sie verdienen eine Medaille.“ Auch Vorstandsvorsitzender Oliver Bäte ist voller Anerkennung: „Über viele, viele Jahre hinweg hat er für die Allianz eine großartige Arbeit geleistet.“

Anfangs fast im Blindflug

Schmidt war die Rolle keineswegs in die Wiege gelegt. Anfang der 90er Jahre lockte den Hamburger weniger die Stellenanzeige zum Allianz-Vorstellungsgespräch, schließlich wollte Schmidt Banker oder Unternehmensberater werden, sondern der von der Allianz bezahlte Flug in das ihm damals unbekannte München. Aber: „Es hat dann sofort Klick gemacht.“ Bis 1997 habe er sich in der Funktion eines internen Analysten um strategische Finanzinvestments gekümmert.

Dann: 1998 der Wechsel zu IR. Dort stand ein Schuhkarton mit ein paar Visitenkarten von Investoren und Analysten herum. Adressdatenbank? Website? Detaillierte Berichte? Fehlanzeige! „Als ich angefangen habe, waren wir fast im Blindflug unterwegs“, erinnert sich Schmidt.

Im Ranking vorne

Heute organisieren sich viele IR-Abteilungen anderer sehr großer Versicherer nach dem Vorbild der Allianz, und im Ranking des Institutional Investor Magazins (vormals von Extel) wählten 1.600 Finanzexperten von rund 750 Gesellschaften Schmidt – „und mein tolles Team“, wie er nicht müde wird zu betonen – in den letzten 19 Jahren immer auf einen Medaillenrang, davon in 17 Jahren sogar auf Platz 1 oder 2. Wie gelingt so etwas bei rund 40 Versicherungsgesellschaften in der Wertung? In einem Geschäft, in dem es für die Investoren um viel Geld geht?

Die Antwort von Schmidt: „Am Ende ist das Vertrauenssache.“ Entscheidend hierfür seien die sauren Jahre. Wenn es für ein Unternehmen gut laufe, sei IR leicht. Dagegen gelte für die Krise: „Da muss man den natürlichen Wunsch unterdrücken, die Dinge zu schönen.“

Qualität statt Quantität

Als Anfang des Jahrhunderts der Terrorangriff auf das World Trade Center und die Schwierigkeiten mit der zugekauften Dresdner Bank den Aktienkurs von 430 auf 41 Euro drückten, hätten viele Investoren die Allianz sehr kritisiert, berichtet Schmidt. Dennoch sei das IR-Team von den Investoren und Analysten mit einem Award ausgezeichnet worden: „Einfach weil wir in dieser kritischen Phase ehrlich waren.“ Es müsse immer der Wille vorhanden sein, eine echte Antwort auf Fragen zu geben. Auch intern könne die IR dann ihren Wert zeigen.

Hinzu komme Kompetenz, ist der IR-Stratege überzeugt. Seine Philosophie: Qualität statt Quantität. Sein Team umfasse insgesamt nur zwölf Leute, neben ihm gebe es drei Sprecher: „Das ist supereffizient.“ Wenig Verständnis hat Schmidt für IR-Abteilungen, die häufig auf die Hilfe von internen Experten angewiesen sind, weil sie die Zahlen nicht durchdringen. „Bei uns soll jeder alles abdecken können, wenn er im Büro ans Telefon geht“, lautet seine Forderung. Bevorzugt hat er daher Analysten eingestellt.

Menschliche Qualitäten sind Schmidt wichtig: „Ich bin morgens gerne ins Büro gekommen.“ Ein guter Manager zeichne sich durch eine Balance von Fachkenntnis, Führungsqualität, zwischenmenschlichen Fähigkeiten und gesundheitlicher Robustheit aus. Dies gelte auch für die IR-Funktion. Ebenfalls wichtig: Man dürfe nicht primär in Rangordnungen denken. „Wenn man sich der Hierarchie zu sehr fügt, kann man nicht viel bewegen“, sagt Schmidt.

Erzieherische Transparenz

Dass IR aus dem Unternehmen heraus in Richtung Kapitalmarkt wirke, wisse jeder. Aber, betont Schmidt: „Die Gegenrichtung ist mindestens genauso wichtig.“ Schließlich machten Investoren und Analysten viele konstruktive Vorschläge. Daher sei sein Team auch als Input-Geber für Allianz-Projekte gefragt. Intern müsse IR die Rolle übernehmen, für Transparenz zu kämpfen. „Transparenz ist am Ende segensreich für die Firma“, sagt Schmidt. Dies gelte nicht, weil Investoren dann zufrieden seien: „Dieses häufig bemühte Argument ist Quatsch.“ Denn wenn ein Unternehmen mehr Zahlen offenlege, werde es nur Nachfragen nach mehr Details bekommen. Richtig sei: „Transparenz wirkt erzieherisch. Sie zwingt uns, genau darüber nachzudenken, was wir tun.“

Nach 27 IR-Jahren ist Schmidt weit weniger datenorientiert als zu Beginn seiner Laufbahn. Zahlen seien nur die eine Hälfte, die relevant sei, so seine Erfahrung. Wichtig sei auch zu wissen, was vor sich gehe – ob in Allianz-Projekten oder bei den Wettbewerbern: „Das schaffen Sie nur, wenn Sie einen engen persönlichen Kontakt zu Leuten aufbauen, die das auch erzählen können.“ Innerhalb der Allianz sei dies ein Vergnügen, denn der Versicherer habe eine sehr offene Kultur und angenehme Topmanager, mit denen man gerne mal einen Kaffee trinke. Extern habe er einen freundschaftlichen Austausch etwa innerhalb der IR-Führungskräfte im Dax 40 mit aufgebaut.

Darüber hinaus schätzt Schmidt an seiner langjährigen Rolle, dass alles bei ihm aufschlage, was für die Allianz relevant ist – von M&A bis hin zu neuen Rechnungslegungsstandards. Der Umgang mit CEOs und Topmanagern auch anderer Versicherer mache Spaß, weil es interessante Menschen seien: „Man hat Kontakte, von denen andere nur träumen.“ Zudem sei die Kombination ideal, die Basis in München zu haben und immer wieder auf Roadshows die Welt zu sehen: „Ich habe überhaupt kein Bedürfnis gehabt, den Arbeitsplatz zu wechseln.“

Die Zukunft wird in der IR keine sprunghaften Entwicklungen bringen, sondern einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess, prognostiziert Schmidt. Daher bleibe die Komplexität einer der größten Feinde: „Wir ringen ständig damit, die Materie für den Kunden handhabbar zu machen.“ Dieser Kampf, beispielsweise in Form kontinuierlicher Kürzungen im Geschäftsbericht oder der Vereinfachung von Charts, werde nicht enden.  

mic München

Oliver Schmidt hat 27 Jahre die IR-Abteilung der Allianz geleitet.