Volkswagen verliert Scania-Chef an Rivalen Volvo
Von Carsten Steevens, HamburgDie Scania-Welt ist heute eine andere als noch vor 20 Jahren, als Martin Lundstedt Projektleiter des schwedischen Lastwagenbauers Scania in Brasilien wurde. Sie ist aber auch eine andere als noch zu Beginn des vergangenen Jahres. Inzwischen hat Europas größter Autobauer Volkswagen die vollständige Kontrolle über das Unternehmen aus Södertälje. Die schwedische Industrie-Ikone ist im Zuge der knapp 7 Mrd. Euro teuren Übernahme der restlichen Anteile durch VW im Frühjahr 2014 auch nicht mehr an der Stockholmer Börse notiert. Die neue Welt, die nun ein Zusammenrücken von Scania mit der Münchener VW-Tochter MAN und der Kleinlastereinheit VW Nutzfahrzeuge verheißt, hat Martin Lundstedt offenbar nicht mehr begeistern können. Der 47-Jährige, der bei Scania Karriere machte und 2012 als President und CEO an die Spitze des Unternehmens rückte, wechselt zum börsennotierten schwedischen Konkurrenten Volvo.Wie die weltweite Nummer 3 hinter Daimler und Dongfeng gestern mitteilte, wird Lundstedt im Oktober President und CEO der Volvo-Gruppe. Er löst Olof Persson ab, der Volvo fast vier Jahre führte und einem milliardenschweren Sparprogramm unterzog. Die Aufgaben des 50-Jährigen, der 2006 zu Volvo kam und nun mit sofortiger Wirkung seinen im September 2011 übernommenen Chefposten aufgab, werde bis zum Antritt Lundstedts Volvo-Finanzchef Jan Gurander übernehmen, hieß es.Die Nachricht von der Ablösung Perssons durch Lundstedt sowie ein früher als geplant verbreitetes Quartalsergebnis, das besser ausfiel als von Analysten erwartet, kam bei Investoren gut an: Die Volvo-Aktie legte in Stockholm um bis zu 16 % auf 117 skr zu. Christer Gardell, Mitgründer des Finanzinvestors Cevian, würdigte zwar, dass die von Persson eingeleiteten und von einem zwischenzeitlich verschärften Stellenabbau begleiteten Sparmaßnahmen offenbar Wirkung zeigten. Doch Volvos zweitgrößter Aktionär begrüßte zugleich die Berufung von Lundstedt: Dieser habe den Ruf eines der besten Truck-Manager der Welt. Nun übernehme er die Aufgabe, aus Volvo den weltbesten Lastwagenbauer zu machen.Investoren machen seit langem Druck wegen einer zu geringen operativen Marge im Truck-Geschäft. Diese zog ohne Berücksichtigung von Restrukturierungskosten und Erlös aus dem Verkauf einer Beteiligung im Startquartal auf 6,1 (i.V. 3,9)% an. Der Rivale Scania jedoch steht dank eines flexiblen, modularen Produktionssystems, mit dem er in der vergangenen Dekade Volvo abhängte, nach wie vor besser da. Auch die VW-Tochter MAN übertrifft Scania mit einer Marge nahe 10 % deutlich.Volvo-Chairman Carl-Henric Svanberg verwies auf 25 Jahre Erfahrung Lundstedts in der Entwicklung, Produktion und dem Vertrieb von Nutzfahrzeugen. Lundstedt, verheirateter Vater zweier Kinder, sei “zudem bekannt für seinen gewinnenden Führungsstil”. Für Volkswagen dürfte der Weggang des bei den gut 40 000 Scania-Beschäftigten offenbar beliebten Lundstedt schmerzlich sein, zumal erst im Januar auch der seit 2006 amtierende Finanzchef von Scania, Jan Ytterberg, seinen Job quittierte. In einer Mitteilung von Scania ließ sich VW-Konzernchef Martin Winterkorn mit den Worten zitieren, man respektiere die Entscheidung Lundstedts, Scania zu verlassen, und danke ihm für erfolgreiche Bemühungen bei Weiterentwicklung und Ausbau der starken Marktposition von Scania seit 2012. Vorläufig soll Per Hallberg, seit 1977 im Unternehmen und verantwortlich für Produktion und Logistik, die Aufgaben Lundstedts als CEO von Scania übernehmen. Inwieweit der Abschied Lundstedts von Scania mit den Plänen von Volkswagen für eine enge Allianz der Nutzfahrzeugmarken zusammenhängt, blieb offen. Im Februar hatte der frühere Truck-Chef von Daimler, Andreas Renschler, seinen Posten als Vorstand für das Nutzfahrzeuggeschäft im VW-Konzern übernommen – als Nachfolger von Leif Östling. Der 69 Jahre alte Schwede, der bis 2012 an der Scania-Spitze stand, soll den Konzern vor Wochen auf unsanfte Weise verlassen haben. Offiziell hat sich VW zu den Umständen für das vorzeitige Ausscheiden nicht geäußert. Medienberichten zufolge soll der Abgang auf Aussagen Östlings im “Svenksa Dagbladet” zurückzuführen sein, in denen er die Arbeitnehmer bei Scania angeblich wider besseres Wissen warnte, bei Werksverlagerungen und -schließungen kein Vetorecht zu besitzen.In Schweden stießen die Äußerungen Östlings auf große Resonanz. Befürchtet wird ein Durchgriff des Konzerns bei Scania. Während der Frist zur Annahme der VW-Offerte im vergangenen Frühjahr war zwischen schwedischen Gewerkschaften und dem VW-Konzernbetriebsrat neben einer Beschäftigungssicherung vereinbart worden, dass es Produktionsverlagerungen ohne Zustimmung der Arbeitnehmervertreter nicht geben soll. Die Arbeitnehmervertreter von Scania sollen in alle wesentlichen Entscheidungen des VW-Konzerns, die die Nutzfahrzeugstrategie betreffen, einbezogen werden.Mit der Allianz der Nutzfahrzeugmarken verfolgt VW das Ziel deutlich höherer Synergien, um zu Daimler aufzuschließen. Darum soll sich der neue Konzernvorstand Renschler (57) kümmern. Mit welcher Strategie und Organisation und mit welchem Personal, ist noch offen.