Zhang Yiming quält sich mit Tiktok-Entscheidung
Von Norbert Hellmann, SchanghaiUm sich in China als Betreiber von sozialen Medien und Online-Nachrichtenportalen erfolgreich zu verdingen, muss man nicht nur über innovatives Entrepreneur-Geschick verfügen, sondern auch gute Nerven und ein feines politisches Gespür aufweisen. Bislang hat sich der erst 37 jährige Zhang Yiming als Gründer und Chef des Onlinemedien-Start-up-Unternehmens Bytedance geradezu glänzend geschlagen und auch die erheblichen Widrigkeiten und Hindernisse im Umgang mit Chinas strenger Medienzensur und der Dauerüberwachung von latent politisch sensiblen Inhalten auf Medienplattformen recht elegant gemeistert.Nun allerdings befindet sich Zhang in einer ganz neuen politischen Arena und ist gänzlich ungewollt zwischen die Fronten des von der handelspolitischen immer mehr auf die technologische Bühne übergehenden Monumentalstreits zwischen China und den USA geraten. Dabei hat es ausgerechnet Bytedances mit Abstand erfolgreichste und größte Onlineplattform, nämlich den weltweit zum Teenageramüsement Nummer 1 avancierten Kurzvideodienst Tiktok erwischt.Noch vor wenigen Monaten hätte sich niemand träumen lassen, dass das von Zhang erdachte soziale Medium Tiktok, bei dem die Nutzer mit flotter Partymusik unterlegte Videoclips als harmlose und vergnügliche Selbstdarstellungs- und Entertainmentgelegenheit ergreifen, zu einem weltumspannenden Politikum wird. Nun aber haben sich die Dinge geradezu überschlagen. Pistole auf der BrustBinnen weniger Tage hat die US-Regierung unter persönlichem Einsatz von Präsident Donald Trump den amerikanischen Tiktok-Dienst als ein knallhartes Sicherheitsrisiko gebrandmarkt, weil Daten von US-Nutzern rein theoretisch an die chinesische Regierung übermittelt werden könnten, und Bytedance die Pistole auf die Brust gesetzt. Entweder wird Tiktok in den USA dichtgemacht, oder aber die Einheit geht an einen US-Käufer, wobei sich bislang vor allem Microsoft als Interessent starkgemacht hat.Nun hat Zhang noch 45 Tage Zeit, um mit Microsoft in ein Zwangsgeschäft zu kommen, oder er muss die Konsequenzen eines kategorischen Banns im über 100 Millionen Nutzer zählenden Amerika ertragen. Zhang gerät damit in Entscheidungsnöte, die einer Shakespeare-Tragödie zur Ehre gereichen würden. Für die führenden Bytedance-Investoren, zu denen nicht nur eine Reihe namhafter US-Private-Equity-Häuser und der japanische Tech-Beteiligungsriese Softbank gehören, ist der Fall eigentlich ziemlich klar. Gegen Washingtons Macht ist wenig auszurichten, und so muss man sich mit dem Gnadenangebot eines Tiktok-Verkaufs an eine US-Adresse und dem daraus entstehenden Milliardensegen zufriedengeben.Für den als hartnäckig und auch kämpferisch bekannten chinesischen Star-Entrepreneur Zhang aber ist der Fall alles andere als klar. Denn wenn es etwas gibt, das er fürchtet, dann ist es Kontrollverlust und die Perfidität seines Erzkonkurrenten Mark Zuckerberg, seines Zeichens Gründer und Chef von Facebook, dem Tiktok schon lange ein Dorn im Auge ist. Zuckerberg, der dafür bekannt ist, im Umgang mit Trump auf einer Schleimspur daherzugleiten, scheint zuletzt hinter den Kulissen regelrechten Lobbyismus betrieben zu haben, um Trump zu einem Tiktok-Bann zu bewegen. Dies wiederum wäre dann eine Steilvorlage, um Facebook mit einem eins zu eins von Tiktok abgekupferten Videodienst namens Real auf das dann verwaiste Schlachtfeld ziehen zu lassen.Vor diesem Hintergrund fällt es Zhang noch denkbar schwer, sich auf einen Deal einzulassen, bei dem er die Kontrolle über Tiktok, die als die internationale Variante des in China ebenfalls äußerst populären Videodienstes Douyin gilt, zu verlieren droht. Bislang hatte Zhang mit dem Gedanken gespielt, Tiktok noch strenger von Douyin und chinesischen Rechts- und Kontrollauflagen zu separieren und als eine globale Adresse mit einem Hauptsitz in New York oder vorzugsweise London und einem unveränderten Geschäftsmodell weiterzuführen. Die neuen Auflagen aus den USA aber scheinen es immer unwahrscheinlicher zu machen, dass sich Zhang aus der Affäre ziehen kann, ohne eine missliebige Zwangsehe mit einem US-Aufkäufer einzugehen und dabei noch Gefahr zu laufen, die Assets unter Wert verkaufen zu müssen. Zerplatzte TräumeÜber Bytedances Zukunftschancen im chinesischen Markt muss man sich wenig Gedanken machen. Im gegenwärtig aufgeheizten Börsenklima und einem geradezu fanatischen Verlangen der Anleger nach heimischen Börsengängen aus dem Technologiesektor könnte Bytedance mit einem Initial Public Offering (IPO) an den Börsen in Hongkong und Schanghai für Furore sorgen und dabei kräftig Kasse machen, um eine weitere Expansion zu finanzieren. Für Zhang wäre dies aber dennoch nur ein schwacher Trost für einen möglicherweise schon bald zerplatzenden Traum.