Britische Strafverfolger fordern Compliance und Kooperation
Neuer Leitfaden konkretisiert Anforderungen für Anklageverzicht bei Wirtschaftskriminalität
Von David Pasewaldt
und Benedikt Blumschein *)
*) Dr. David Pasewaldt ist Partner, Benedikt Blumschein ist Associate in der Praxisgruppe „White Collar, Regulatory & Compliance“ von Clifford Chance in Frankfurt.
*) Dr. David Pasewaldt ist Partner, Benedikt Blumschein ist Associate in der Praxisgruppe „White Collar, Regulatory & Compliance“ von Clifford Chance in Frankfurt.
Deutsche Banken und Unternehmen geraten leicht in den Fokus britischer Strafverfolgungsbehörden. Vorwürfe wegen unternehmensbezogener Straftaten drohen nach dortigem Recht bereits dann, wenn sie nur einen Teil ihrer Geschäftstätigkeit im Vereinigten Königreich ausüben. Allerdings können Unternehmen in britischen Strafverfahren von einer Verständigung zur Verfahrensbeendigung profitieren, namentlich durch den Abschluss eines Deferred Prosecution Agreements (DPA). Eine solche Vereinbarung zur Aussetzung der Strafverfolgung ist möglich, wenn das öffentliche Interesse eine Anklage gegen das Unternehmen nicht gebietet.
Im April 2025 hat die britische Anklagebehörde SFO (Serious Fraud Office) einen neuen Leitfaden mit Kriterien zur Beurteilung des öffentlichen Interesses an einer Strafverfolgung veröffentlicht. Danach können Unternehmen in der Regel mit einem Anklageverzicht und dem Abschluss eines DPA rechnen, wenn sie Hinweise auf Straftaten des Unternehmens zeitnah offenlegen (prompt self-disclosure) und vollständig mit den Ermittlern kooperieren (full cooperation).
Zeitnahe Offenlegung
Für eine rechtzeitige Offenlegung festgestellter oder vermuteter Straftaten des Unternehmens verlangt das SFO die Mitteilung aller relevanten Fakten an die Ermittlungsbehörde nach deren Bekanntwerden. Dazu gehört auch die Benennung der involvierten Personen innerhalb und außerhalb des offenlegenden Unternehmens sowie der von den Straftaten betroffenen Länder. Im Rahmen der Offenlegung sollen außerdem vorhandene Beweismittel samt ihrer Belegenheit benannt sowie auf Risiken einer Beseitigung von Beweismitteln hingewiesen werden. Das SFO erwartet nicht, dass ein Unternehmen einen Verdacht von Straftaten im Zeitpunkt der Offenlegung bereits selbst vollständig aufgeklärt hat. Bei lediglich vagen Anhaltspunkten für Straftaten sind interne Untersuchungsmaßnahmen zur Klärung vielmehr angemessen und für die Wahrung der Rechtzeitigkeit unschädlich.
Im Gegenzug für eine zeitnahe Offenlegung stellt das SFO in Aussicht, dass sich eine Ermittlungseinheit innerhalb von zwei Geschäftstagen bei dem Unternehmen melden und es regelmäßig über den Stand der Offenlegung informieren wird.
Vollständige Zusammenarbeit
Besonderen Wert legt das SFO zudem auf eine Kooperation bei Ermittlungen. Der Leitfaden stellt dazu klar, dass nur eine aufrichtige, ernsthafte und fortlaufende Zusammenarbeit über das gesetzlich vorgeschriebene Maß hinaus das öffentliche Interesse an einer Anklage gegen das Unternehmen beseitigen oder sich zumindest strafmildernd auswirken kann. Als Beispiele für kooperatives Verhalten nennt das SFO eine proaktive Sicherung und Bereitstellung aller relevanter Papierunterlagen und elektronischer Daten sowie eine Benennung von Beweismitteln, die sich außerhalb des Zugriffs des Unternehmens bei Dritten befinden. Führt das Unternehmen eine interne Untersuchung durch, muss es sich frühzeitig mit dem SFO zu deren Parametern abstimmen, vorab über beabsichtigte Mitarbeiterbefragungen und andere Untersuchungsmaßnahmen informieren und fortlaufend über die Ergebnisse der internen Untersuchung unterrichten. Ferner hat das Unternehmen offenzulegen, welche Compliance-Maßnahmen es im Zeitpunkt der Verstöße implementiert hatte und welche Maßnahmen es nachträglich zur Wiedergutmachung und Vermeidung wiederholter Verstöße erwägt oder bereits umgesetzt hat. Erfüllt ein Unternehmen alle Anforderungen an eine Kooperation, kann es von einem Anklageverzicht sogar dann profitieren, wenn es den Verstoß nicht offengelegt hat, sondern die Ermittlungen unabhängig davon aufgenommen wurden.
Fehlende Kooperation schadet
Darüber hinaus nennt der Leitfaden Beispiele für Verhaltensweisen von Unternehmen, die das SFO als unkooperativ einstuft. Neben Verzögerungstaktiken und selektiver Informationsweitergabe, einer Verschleierung individueller Verantwortlichkeiten und der Bereitstellung übergroßer, unsortierter Datenmengen zählt dazu insbesondere das sogenannte „Forum Shopping“. Dabei legen Unternehmen grenzüberschreitende Sachverhalte trotz eines Bezugs zum Vereinigten Königreich gezielt gegenüber Ermittlungsbehörden in anderen Ländern offen, weil sie dort mit geringeren Sanktionen rechnen oder sich sonstige Vorteile erhoffen.
Deutschland ohne Vergleich
In Deutschland existieren bisher keine vergleichbar formalisierten Vorgaben. Allerdings honorieren deutsche Staatsanwaltschaften und Gerichte Selbstanzeigen, eine Kooperation mit Ermittlungsbehörden und bestehende Compliance-Management-Systeme im Rahmen ihres Ermessens bei der Entscheidung über Unternehmenssanktionen, namentlich bei der Zumessung von Unternehmensgeldbußen nach § 30 OWiG. Vor diesem Hintergrund bietet der neue Leitfaden auch für Unternehmen ohne Bezug zum Vereinigten Königreich eine wichtige Orientierung.
Britische Strafverfolger fordern Compliance und Kooperation
*) Dr. David Pasewaldt ist Partner, Benedikt Blumschein ist Associate in der Praxisgruppe „White Collar, Regulatory & Compliance“ von Clifford Chance in Frankfurt.