Cum-cum-Geschäfte erfordern Aufklärung mit Augenmaß
Cum-cum-Geschäfte: Aufklärung mit Augenmaß
Steuerliche Behandlung noch nicht abschließend geklärt – Fälle liegen oft weit in der Vergangenheit
Mit Cum-ex-Geschäften befassen sich Behörden und Gerichte schon seit längerem, zunehmend rücken nun auch Cum-cum-Geschäfte in den Fokus. Sie haben ihren Grund in der ungleichen Behandlung in- und ausländischer Aktionäre: Nur Steuerinländer können die auf Dividenden gezahlte Kapitalertragsteuer auf ihre Steuerschuld anrechnen. In der Vergangenheit übertrugen ausländische Aktionäre die Aktien deutscher Unternehmen vielfach vor dem Dividendenstichtag auf ein inländisches Kreditinstitut. Dieses vereinnahmte die Dividende und machte die Kapitalertragsteuer gegenüber dem Fiskus geltend. Kurze Zeit später wurden die Aktien zurückübertragen und der „Gewinn“ aus der Steueranrechnung aufgeteilt.
Die Auffassung der Finanzverwaltung zu Cum-cum-Geschäften ist mittlerweile klar: Der Steuerinländer ist nicht berechtigt, die Kapitalertragsteuer anzurechnen – entweder weil er nicht wirtschaftlicher Eigentümer der Aktien geworden ist oder weil ein Gestaltungsmissbrauch vorliegt. Rechnet ein Steuerinländer Kapitalertragsteuer aus Cum-cum-Geschäften an, ist die Steuererklärung nach Auffassung der Finanzverwaltung grundsätzlich unrichtig.
Der Wind dreht sich
Cum-cum-Geschäfte standen bislang nicht im Fokus der Finanzverwaltung und Strafverfolgungsbehörden. Doch der Wind scheint sich zu drehen: Die Steuerfahndung NRW warb für Cum-cum-Ermittlungen kürzlich gezielt um Quereinsteiger aus Banken und Steuerberatungskanzleien. Bestätigt fühlen könnten sich Finanzverwaltung und Strafverfolgungsbehörden zudem durch einen Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt am Main. Das OLG hat die Anklage wegen Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit Wertpapierleihen zugelassen. Die Ausführungen des OLG halten viele für auf Cum-cum-Geschäfte übertragbar.
Viele Beteiligte, auch Berater drängen nun auf eine lückenlose unternehmensinterne Untersuchung der weit in der Vergangenheit getätigten Geschäfte. Für Vorstände und Geschäftsführer hat das auch eine persönliche Dimension: Sie könnten eine Steuerhinterziehung begehen und persönlich für die angerechnete Kapitalertragsteuer einschließlich Zinsen haften, wenn sie ihre Kenntnis von Cum-cum-Geschäften nicht der Finanzverwaltung offenlegen. Zudem könnten sie der Gesellschaft auf Schadensersatz haften, wenn sie gegen die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters verstoßen, indem sie steuerliche Pflichten verletzen, eine gebotene Aufklärung unterlassen oder auch eine unnötige Aufklärung vornehmen.
Grenze zur positiven Kenntnis
Das Steuerrecht kennt keine Pflicht zur Aufklärung, ob in der Vergangenheit eingereichte Steuererklärungen unrichtig waren. Der Geschäftsleiter muss die Angaben in den Steuererklärungen der Gesellschaft wahrheitsgemäß nach bestem Wissen und Gewissen machen. Er ist aber nicht verpflichtet, bereits abgegebene Steuererklärungen aktiv auf Fehler zu überprüfen. Nur wenn er vor Eintritt der Festsetzungsverjährung positiv weiß, dass die gemachten Angaben unrichtig oder unvollständig sind, muss er sie berichtigen. Bloßes „Wissen-Können“ genügt nicht. Je stärker die Hinweise auf Cum-cum-Geschäfte in der Vergangenheit sind, desto eher könnten Finanzverwaltung und Gerichte später annehmen, die Grenze zur positiven Kenntnis sei überschritten.
Allerdings ist die steuerliche Behandlung von Cum-cum-Geschäften noch nicht abschließend geklärt. Erste finanzgerichtliche Entscheidungen stützen zwar die Auffassung der Finanzverwaltung, eine höchstrichterliche Klärung steht aber noch aus. Zwei neuere Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) legen nahe, dass die Finanzverwaltung die Anforderungen an das wirtschaftliche Eigentum überspannt. Auch der pauschale Vorwurf eines Gestaltungsmissbrauchs ist mit einem Fragezeichen zu versehen. Es ist eine Frage des Einzelfalls, ob eine Gestaltung überhaupt keinen erkennbaren wirtschaftlichen Zweck verfolgt. Allein das Motiv, Steuern zu sparen, macht eine Gestaltung nicht unangemessen.
Sorgfaltspflicht des Vorstands
Eine Pflicht, die in der Vergangenheit getätigten Geschäfte aufzuklären, kann aber aus der Sorgfaltspflicht des Vorstands oder Geschäftsführers folgen. Ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter muss weitere Gesetzesverstöße verhindern und drohenden Schaden von der Gesellschaft abwenden. Hierzu sind regelmäßig auch Aufklärungsmaßnahmen nötig. Die Organpflichten des Geschäftsleiters verlangen eine Aufklärung vergangener Aktiengeschäfte aber nicht bedingungslos. Der Geschäftsleiter hat ein unternehmerisches Ermessen: Er darf und muss die Vor- und Nachteile einer solchen Aufklärung gegeneinander abwägen und den Umfang angemessen festlegen.
Grundsätzlich ist die Pflicht zur Aufklärung möglicher Gesetzesverstöße zentraler Bestandteil der heutigen Compliance-Welt. In den meisten Fällen gilt: nur wer aufklärt, kann Gesetzesverstöße abstellen und ahnden, das Unternehmen angemessen verteidigen und etwaige Ansprüche gegen Dritte geltend machen. Trotz der klaren Grundsätze muss aber die Situation im Einzelfall ausreichend berücksichtigt werden. Bei der Aufklärung von Cum-cum-Geschäften gelten Besonderheiten.
Abwägung nötig
Für eine möglichst umfassende Aufklärung kann sprechen, den möglichen Zinsschaden zu begrenzen. Versagt die Finanzverwaltung nachträglich die Anrechnung der Kapitalertragsteuer, muss das Unternehmen nicht bloß die angerechnete Steuer zurückzahlen. Der Rückzahlungsbetrag ist zusätzlich zu verzinsen – bei Steuerhinterziehung mit 6% p.a. Es liegt daher regelmäßig im Interesse des Unternehmens, dass unberechtigte Steueranrechnungen frühzeitig zurückgefordert werden.
Interne Untersuchungen können auch dazu beitragen, Ermittlungsmaßnahmen zu begrenzen. Hat das Unternehmen den Sachverhalt bereits umfassend aufgeklärt und kooperiert es proaktiv mit den Behörden, kann eine Durchsuchung der Geschäftsräume unter Umständen abgewendet werden.
Zudem können Aufklärungsmaßnahmen helfen, Regressansprüche gegenüber Dritten zu identifizieren und rechtzeitig vor der Verjährung geltend zu machen. Außerdem kann die fehlende Aufklärung im Fall eines beabsichtigten Verkaufs des Unternehmens ein Hindernis darstellen.
Aufklärung kostet
Die Aufklärung ist aber meist mit erheblichen Kosten verbunden. Sie bindet nicht nur Ressourcen im Unternehmen, sondern sorgt häufig auch für Unruhe und Verunsicherung. Wird die Untersuchung bekannt, drohen Reputationsschäden. So weit ist das noch keine Besonderheit von Cum-cum-Geschäften.
Bei Cum-cum-Geschäften kommt aber hinzu, dass die fraglichen Vorgänge häufig schon lange Zeit – 20 Jahre und mehr – zurückliegen und längst abgestellt sind. Die damals handelnden Personen sind meistens nicht mehr im Unternehmen, sodass sich Personalmaßnahmen erübrigen.
Die handelnden Personen stehen häufig auch nicht mehr für eine lückenlose Aufklärung zur Verfügung oder haben wenig Interesse an einer solchen. In vielen Fällen ist daher nur eine zeit- und kostenintensive Auswertung der noch vorhandenen Unterlagen möglich – bis hin zur Durchsicht mehrerer Millionen E-Mails.
Die technischen Aufzeichnungen der Transaktionen liegen häufig nicht mehr oder nicht ausreichend vollständig vor, sodass auch deshalb die Aufklärung in vielen Fällen unvollständig bleiben wird. Zumeist sind für eine vollständige Aufklärung auch Daten anderer Unternehmen erforderlich, auf die die aufklärende Gesellschaft keinen Zugriff hat.
Gewichtung der Vor- und Nachteile
Inwieweit eine – gegebenenfalls auch umfassende – Untersuchung in einem Einzelfall nötig ist, lässt sich nicht pauschal beantworten. Erforderlich ist eine sorgfältige Abwägung. Berücksichtigen muss der Geschäftsleiter dabei vor allem die Unsicherheit über die steuerliche Behandlung von Cum-cum-Geschäften. Denn bislang ist noch nicht höchstrichterlich entschieden, ob die Steueranrechnung zu versagen ist.
Entscheidend ist zudem, wie stark die Hinweise sind, dass das jeweilige Unternehmen in der Vergangenheit Cum-cum-Geschäfte getätigt hat. Auch den Umfang des möglichen Zinsschadens sowie die Möglichkeit von Regressansprüchen gegen Dritte muss der Geschäftsleiter in seine Abwägung einstellen. Diese Vielzahl an Unsicherheitsfaktoren bringt Vorstände und Geschäftsführer in eine schwierige Lage. Von ihnen wird eine Entscheidung mit Augenmaß verlangt.
Dr. Adrian Bingel und Dr. Alexander Werder sind Partner bei Gleiss Lutz.