Gesetzesreform

Das Bürgerliche Gesetzbuch geht ins digitale Zeitalter

Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) gelangt in das digitale Zeitalter. Knapp 20 Jahre nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes werden zum 1. Januar 2022 weitgehende Neuerungen eingeführt. Das BGB enthält fortan Regelungen für...

Das Bürgerliche Gesetzbuch geht ins digitale Zeitalter

Von Jörn Kuhn und

Patrick Vapore*)

Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) gelangt in das digitale Zeitalter. Knapp 20 Jahre nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes werden zum 1. Januar 2022 weitgehende Neuerungen eingeführt. Das BGB enthält fortan Regelungen für Kaufverträge über Waren mit digitalen Elementen sowie Verträge über die Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen. Anlass der BGB-Reform sind zwei europäische Richtlinien: die Warenkaufrichtlinie (Richtlinie (EU) 2019/771) und die Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen (Richtlinie (EU) 2019/770). Die Richtlinien verpflichten die Mitgliedstaaten bis zum 1. Juli 2021, entsprechende Umsetzungsgesetze zu erlassen, die zum 1. Januar 2022 in Kraft treten sollen. Deutschland ist dieser Pflicht durch Verkündung zweier Änderungsgesetze am 30. Juni 2021 nachgekommen.

Beide Richtlinien sind Teil der sogenannten Strategie für einen europäischen digitalen Binnenmarkt, die die Europäische Kommission im Jahr 2015 vorgestellt hat. Im Rahmen dieser Strategie möchte die EU bessere Bedingungen schaffen, um das Wachstumspotenzial der europäischen digitalen Wirtschaft auszuschöpfen. Sie hat erkannt, dass digitale Leistungen als Wirtschaftsfaktor zunehmend an Bedeutung gewinnen. Unter anderem soll durch eine Reihe von Maßnahmen sowohl Verbrauchern als auch Unternehmern in ganz Europa ein besserer Zugang zu Onlinegütern und -dienstleistungen gewährt werden.

Neu sind die Vorschriften zu den Verträgen zwischen Verbrauchern und Unternehmern über die Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen. In einem eigenständigen Abschnitt werden die Verbraucherrechte bei unterbliebener oder mangelhafter Bereitstellung geregelt. Sie ähneln dem kaufrechtlichen Gewährleistungsrecht. Abweichende Regelungen sind nur im gesetzlich abgesteckten Rahmen zulässig.

Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die Aktualisierungspflicht für Unternehmen. Sie müssen sicherstellen, dass dem Verbraucher Aktualisierungen, die für den Erhalt der Vertragsmäßigkeit des digitalen Produkts erforderlich sind, bereitgestellt werden und der Verbraucher über diese Aktualisierungen informiert wird. Werden dem Verbraucher Aktualisierungen nicht zugänglich gemacht, kann dies einen Mangel des digitalen Produkts darstellen.

Für Unternehmen sind – wie im Kaufrecht – Rückgriffsrechte gegen ihre Vertriebspartner vorgesehen. Sie können Ersatz der Aufwendungen verlangen, die entstehen, wenn ein Vertriebspartner das digitale Produkt nicht oder nicht ordnungsgemäß bereitstellt.

Im Kaufrecht gibt es ebenfalls einige Neuerungen, die nicht nur den Onlinehandel betreffen. Das gilt für den B2B- und B2C-Bereich. Derzeit ist eine Sache bereits dann frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang die vereinbarte Beschaffenheit hat. Für Kaufverträge, die am 1. Januar 2022 oder später geschlossen werden, muss die Sache zusätzlich weiteren subjektiven und objektiven Anforderungen entsprechen. So muss sie sich beispielsweise sowohl für die vertraglich vorausgesetzte Verwendung als auch für die gewöhnliche Verwendung eignen. Das wird im Regelfall zwar erfüllt sein, wenn sie der vereinbarten Beschaffenheit entspricht. Je nach Einzelfall können aber Besonderheiten bestehen.

Im B2C-Bereich wird der Verbraucherschutz gestärkt. Insbesondere für Verbrauchsgüterkaufverträge über Waren mit digitalen Elementen wie Smartphones oder Smart-TVs werden neue Vorschriften geschaffen. Für den Mangelbegriff, einzelne Gewährleistungsrechte und die Verjährung gelten Besonderheiten. Auch hier wird teilweise eine Aktualisierungsbereitstellungspflicht für die digitalen Elemente gelten. Wird diese Pflicht verletzt, können Gewährleistungsrechte ausgelöst werden.

Auch bestehende Regelungen zum Verbrauchsgüterkauf werden erweitert. Das betrifft insbesondere die Beweislastumkehr für das Vorliegen eines Mangels: Zeigt sich innerhalb eines Jahres nach Übergabe ein Mangel, so wird vermutet, dass die Ware bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war. Bisher gilt dies nur, wenn sich der Mangel innerhalb von sechs Monaten zeigt.

Noch weiter geht die Vermutung, wenn bei Waren mit digitalen Elementen diese laut Kaufvertrag dauerhaft bereitgestellt werden. Die Vermutung greift auch, wenn sich der Mangel innerhalb von zwei Jahren nach Übergabe zeigt.

Die Änderungen des BGB haben für Unternehmen weitreichende Konsequenzen. Zum einen müssen Produkte und Dienstleistungen den neuen Vorgaben entsprechen. Zum anderen müssen die vertraglichen Regelungen im B2C- und B2B-Geschäft geprüft und angepasst werden. Vor allem der neue Mangelbegriff wird aus Sicht von Unternehmen weitergehende Dokumentation erfordern. Dazu verbleiben noch knapp sechs Monate. Die Zeit muss gut genutzt werden.

*) Jörn Kuhn ist Partner, Patrick Vapore ist Associate von Oppenhoff.