GastbeitragUmweltschutz

EU-Vorgaben zu Kartellrecht bei Nachhaltigkeit greifen zu kurz

Absprachen mit Konkurrenten über Nachhaltigkeitsanstrengungen können gegen das Kartellrecht verstoßen. Welches Rechtsgut soll dann Vorrang haben?

EU-Vorgaben zu Kartellrecht bei Nachhaltigkeit greifen zu kurz

EU-Vorgaben zu Kartellrecht bei Nachhaltigkeit greifen zu kurz

Leitlinien für horizontale Zusammenarbeit – EuGH im Zweifel für Umweltschutz

Von Jonas Brueckner *)

Wenn Unternehmen ambitionierte Nachhaltigkeitsanstrengungen planen, dann kann es helfen, sich mit direkten Wettbewerbern darüber abzustimmen. Solche Absprachen können gegen das Kartellrecht verstoßen. Erste nationale Kartellbehörden stellen klar, welches Rechtsgut in dieser Konfliktlage Vorrang haben soll.

Klimaschutz ist ein politisches Ziel von existenzieller Bedeutung. Der European Green Deal verlangt eine Reduktion der Netto-Treihausgas-Emissionen um 55% bis 2030 und eine vollständige Neutralität bis 2050. Die Verwirklichung dieses Ziels ist ambitioniert. Ökonomen sehen beim Umweltschutz ein Versagen des Marktes. Ob staatliche Maßnahmen den Defiziten schnell genug abhelfen können, ist zweifelhaft. Es liegt insofern nahe, Marktteilnehmern, die gleichzeitig Wettbewerber sind, gewisse Freiheiten einzuräumen, damit diese sich zu Initiativen und Maßnahmen im Bereich Umweltschutz austauschen und abstimmen können, ohne gegen das Kartellverbot zu verstoßen.

Denn wer Umweltschutz und Nachhaltigkeit im Alleingang wagt, geht ein Risiko ein, nicht nur rechtlich, sondern auch kommerziell. Umweltschutz und Lieferkettensorgfalt sind selten umsonst. Die Sorge vor einem „first-mover-disadvantage“ ist real. Umgekehrt erhöht die Aussicht auf ein „level playing field“ die Bereitschaft, mehr Umweltschutz zu wagen.

Keine überzeugende Lösung

Die Europäische Kommission greift diesen Konflikt auf, findet aber noch keine überzeugende Lösung. Ihre vor sechs Monaten veröffentlichen Leitlinien über horizontale Zusammenarbeit geben Unternehmen eine Handreichung für den Informationsaustausch zu Nachhaltigkeitsthemen, die vom üblichen Schema für jede andere Wettbewerberkooperation kaum abweicht. Das heißt: Führt der Austausch oder die Kooperation zu einer bewirkten oder bezweckten Wettbewerbsbeschränkung (oder lässt sich dies zumindest nicht ausschließen), so müssen Effizienzgewinne erzielt werden, an denen die Verbraucher angemessen beteiligt werden. Die Wettbewerbsbeschränkungen müssen unerlässlich sein und es darf zu keiner (vollständigen) Ausschaltung des Wettbewerbs kommen.

Schwer nachweisbar

In der Praxis wird sich aber für ökologische Nachhaltigkeit die unmittelbare, angemessene Verbraucherbeteiligung unter Umständen schwer nachweisen lassen. Eine Vereinbarung in Deutschland sitzender, in Asien produzierender Unternehmen etwa, die zu einer Verteuerung ihrer in der EU abgesetzten Produkte führt, weil die Emissionen bei der Herstellung in Übersee reduziert werden, beteiligt den Verbraucher, allerdings nur indirekt über ein besseres Klima. Trotzdem kann natürlich der Wert dieser Verbraucherbeteiligung viel höher sein als eine kleinere, innerhalb eines Marktes veranlasste und wirkende Maßnahme.

Nationale Behörden zeigen, wie es anders geht

Mit Ausnahme eines „soft safe harbours“ für Standardisierungsabsprachen, die auf das Erreichen bestimmter Nachhaltigkeitsziele abzielen, räumen die Leitlinien weder tatbestandliche Ausnahmen für Nachhaltigkeitsprojekte ein noch führen sie zu Erleichterungen bei der Beweislast durch Fiktionswirkungen. Das ist angesichts der klaren Zielvorgabe, jedenfalls im Green Deal, erstaunlich. Es steht auch im Widerspruch zu dem, was auf nationaler Ebene vorgesehen ist. Denn es geht auch anders.

Die österreichische Bundeswettbewerbsbehörde hat in Ihren Leitlinien von 2022 die Wirkungen der „Nachhaltigkeitsausnahme“ als Rechtfertigungsmöglichkeit für alle wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen zwischen Unternehmen in einem wesentlichen Punkt konkretisiert. Sie fingiert, dass eine angemessene Beteiligung der Verbraucher vorliegt, wenn der Gewinn zu einer ökologisch nachhaltigen Wirtschaft wesentlich beiträgt. Damit wird Unternehmen zwar auferlegt, die ökologischen wesentlichen Vorteile nachzuweisen – eine konkrete Beteiligung der Verbraucher wird daraufhin allerdings vermutet. Damit können etwa „out-of-market-efficiencies“ in Form allgemeiner Verbesserung des Klimas erfasst werden.

Leitlinienentwurf aus den Niederlanden

Mindestens genauso klar ist die niederländische Wettbewerbsbehörde in ihrem Leitlinienentwurf: Die zu erzielenden Effizienzen müssen nur objektiver Art sein, sie können auch der gesamten Gesellschaft und gar zukünftigen Generationen zugutekommen. Bei Maßnahmen, die Umweltschäden verhindern sollen, reicht es aus, wenn die Maßnahmen zu Zielen beitragen, an die die Regierung gebunden ist. Dann wird vermutet, dass die Verbraucher ebenso wie die Gesellschaft von diesen Maßnahmen profitieren. Unternehmen mit einem Marktanteil von unter 30% sind zudem von jeglicher Quantifizierungspflicht befreit, wenn die von der Nachhaltigkeitsvereinbarung ausgehenden Vorteile die Nachteile offensichtlich überwiegen.

Austausch und Kooperation

Ermutigung zu mehr Austausch und Kooperation ist insofern vor allem auf nationaler Ebene zu finden. Die Kommission macht es sich und den Unternehmen nicht leicht. Im Ergebnis wird es für sie aber zumindest politisch schwer sein, zu abweichenden Ergebnissen zu kommen. Der EuGH, auch er politisch, wird sich im Zweifel für den Umweltschutz entscheiden. Das weiß auch die Kommission.

*) Dr. Jonas Brueckner ist Partner der KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH.

Dr. Jonas Brueckner

Partner der KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH (Foto: KPMG Law)

*) Dr. Jonas Brueckner ist Partner der KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH.