Innovationsagenda 2030 – ein ambitionierter und zugleich notwendiger Fahrplan
Innovationsagenda 2030 – ein ambitionierter und zugleich notwendiger Fahrplan
Staat in der Rolle des Katalysators – Chief Technology Officer für das Bundeskanzleramt
Von Gesine von der Groeben *)
Das deutsche Innovations- und Wirtschaftswachstum stagniert seit geraumer Zeit und gibt in jedem Fall Grund zur Sorge. Die Politik gerät zunehmend unter Druck, das Wirtschaftswachstum zu fördern, aber bisher fällt das Fazit ernüchternd aus: Allein die Finanzierungslücke bei innovativen Start-ups beträgt in Deutschland jährlich rund 30 Mrd. Euro.
Abhilfe schaffen soll nun die 55 Seiten starke Innovationsagenda 2030, die Anfang September vom Deutschen Startup-Verband vorgestellt wurde. Sie will mit konkreten Handlungsvorschlägen Deutschlands Innovationskraft erheblich stärken. Die Agenda ist als Antwort auf die aktuellen Krisen zu verstehen und soll Deutschlands Zukunftsfähigkeit wiederherstellen und eine neue „Anpackmentalität“ und Aufbruchsstimmung schaffen.
Problemlöser für Digitalisierung
In erster Linie sehen die Autoren der Agenda den Staat in der Rolle des Katalysators für Innovation. Mehr staatliche Aufträge sollen an Start-ups vergeben werden und diese so als Problemlöser bei der Digitalisierung fungieren. Weiterhin soll das Verfahren der Unternehmensgründung beschleunigt und regulatorische Hürden abgebaut werden, die Innovation oftmals im Keim erstickten.
Eine Schlüsselrolle komme hier insbesondere den Deep-Tech- und Climate-Tech-Start-ups zu. Diese seien zwar zukunftsrelevant, stünden jedoch oft vor großen Hürden wie komplexe Regulatorik und erhöhten Kapitalbedarf. Die Zielsetzung ist dabei ehrgeizig: Bis 2030 soll Deutschland zu den Top 3 der Deep-Tech-Standorte zählen und 30 Deep-Tech-Unicorns hervorgebracht haben. Ähnliches wird für Climate-Tech-Start-ups anvisiert: Eine Verdopplung der Anzahl der Unicorns von sechs auf zwölf sowie 20% der Venture-Capital-Investitionen an Climate-Tech-Start-ups. Die nötige Infrastruktur ist in Deutschland dank eines stabilen Mittelstands, der als starke industrielle Basis dient, jedenfalls vorhanden.
Neue Finanzierungsquellen
Außerdem solle bis 2030 insgesamt 1% des Bruttoinlandsprodukts in die Risikokapitalfinanzierung von innovativen Unternehmen fließen – also rund dreimal so viel wie aktuell. Bestehende Angebote wie der Invest-Zuschuss Wagniskapital oder der staatliche High Tech Gründerfonds (HTGF) sollen ausgebaut und entbürokratisiert werden. Zusätzlich ist vorgesehen, dass das Kapital institutioneller Investoren mobilisiert und neue Finanzierungsquellen erschlossen werden.
Essenziell sei vor diesem Hintergrund auch die Stärkung von Exit-Kanälen für innovative Start-ups. Aus volkswirtschaftlicher Sicht sei es aber wichtig, dass der Verkauf des Unternehmens innerhalb von Deutschland oder Europa stattfindet, um das Start-up-Ökosystem langfristig zu stärken. Konkrete Lösungen bleibt die Agenda hier leider schuldig. Gleichzeitig müsse der europäische Kapitalmarkt angekurbelt werden, um Investoren einen gewinnbringenden Ausstieg zu ermöglichen. Generell sollte Wagniskapital als attraktivere Geldanlage kommuniziert werden.
Diversität und Migration
Ein Fokus liegt auch auf Diversität: Mit 21% sind Frauen bei rückläufigem Trend unter Gründenden stark unterrepräsentiert, ebenso wie Gründende mit Einwanderungsgeschichte. Die Agenda betont die Notwendigkeit, die Vereinbarkeit von Familie und Unternehmertum zu verbessern – durch Förderung von Mutterschutz für Selbständige, eine Reform des Elterngeldes und den Ausbau der Kinderbetreuung. Zudem wird vorgeschlagen, Englisch als zweite Amtssprache einzuführen, um Gründenden mit Migrationshintergrund den Zugang zu erleichtern.
Um Fachkräfte langfristig an Deutschland zu binden, wird – als wirtschaftsorientierte Interpretation einer Willkommenskultur – gefordert, dass an der neu eingeführten Digitalisierung von Visa-Verfahren festgehalten und die Vergabe von Aufenthaltstiteln zentralisiert wird, um einheitliche, nachvollziehbare Entscheidungen zu gewährleisten. Zudem sei die Anerkennung von ausländischen Bildungsabschlüssen sowie allgemein eine umfassende Integration durch Politik, Wirtschaft und Gesellschaft für die Bindung von Talenten essenziell. Wünschenswert wäre eine noch größere Fokussierung auf die Frage, wie die Bildung in Deutschland selbst gestärkt werden kann.
Die richtigen Schwerpunkte
Die Agenda ist ein ambitionierter und zugleich notwendiger Fahrplan, um Deutschland als führende Innovationsnation zu positionieren. Der Fokus auf Finanzierung, Fachkräfte und Nachhaltigkeit setzt die richtigen Schwerpunkte. Auch der Ansatz, eine diverse Start-up-Kultur zu fördern, ist nicht nur gesellschaftlich alternativlos, sondern vielmehr Ausdruck gesunden ökonomischen Menschenverstands.
Kooperation notwendig
Allerdings wird der Erfolg maßgeblich von der konsequenten Umsetzung und der langfristigen politischen Unterstützung abhängen. Investitionen allein reichen nicht aus, es bedarf einer starken Kooperation zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik sowie einer Anpassung der (steuer-)rechtlichen und bürokratischen Rahmenbedingungen. Ausschlaggebend ist die Bereitschaft zu einem pragmatischen, realitätsbewussten Dialog zwischen allen Beteiligten. Hier dämpft leider die Tonalität des derzeitigen gesellschaftlichen Diskurses den Optimismus.
Die Innovationsagenda 2030 bietet enormes Potenzial, doch sie kann nur dann die gewünschten Effekte erzielen, wenn sie als echte nationale Priorität behandelt wird. Hier ist der Föderalismus sicherlich nicht gerade hilfreich, aber auch hier wartet die Innovationsagenda mit einem konkreten Vorschlag auf: einen „CTO“ im Bundeskanzleramt zu installieren.
*) Dr. Gesine von der Groeben ist Partnerin im Bereich Corporate/M&A von Dentons in Frankfurt.
