Arbeitsmarktpraktiken als kartellrechtliches Risiko
Arbeitsmarktpraktiken als kartellrechtliches Risiko
EU-Kommission rückt beschäftigungsbezogene Vereinbarungen in den Fokus – Lehren aus Geldbuße gegen Delivery Hero und Glovo
Von Nadine Kramer, Christian Ahlborn und Laurie-Anne Grelier *)
Mit ihrer ersten Geldbuße wegen eines Kartells auf dem Arbeitsmarkt bestätigt die Kommission nicht nur ihre bekannte Auffassung, dass Abwerbeverbote zwischen Wettbewerbern bezogen auf ihre Mitarbeiter regelmäßig gegen die EU-Kartellvorschriften verstoßen und ähnlich streng wie ein Preiskartell behandelt werden. Sie signalisiert auch, dass sie beschäftigungsbezogene Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern verstärkt unter die Lupe nehmen wird.
Mit der Verhängung der Geldbuße in Höhe von 329 Mill. Euro gegen den deutschen Lieferdienst Delivery Hero und den damaligen spanischen Wettbewerber Glovo am 2. Juni 2025 unter anderem wegen der Vereinbarung, keine Mitarbeiter des jeweils anderen Unternehmens abzuwerben, hat die Kommission kein Neuland betreten. Sie hatte hier schon zuvor eine konsequente Haltung eingenommen, unter anderem in den Horizontal-Leitlinien von 2023, den Leitlinien zu Tarifverträgen für Selbstständige von 2022 und zuletzt in einem Politikpapier zu Kartellrecht auf den Arbeitsmärkten von 2024.
Kartellrechtliche Prüfung
Der Fall von Delivery Hero und Glovo zeigt jedoch, dass arbeitsmarktbezogene Praktiken zunehmend in den Fokus der EU-Kommission rücken und ein echtes kartellrechtliches Risiko darstellen. Unternehmen sollten daher damit rechnen, dass arbeitsmarktbezogene Vereinbarungen mit anderen Marktteilnehmern nicht nur in der EU, sondern weltweit, auch im Zusammenhang mit Fusionen, Übernahmen und anderen Investitionen, einer zunehmend strengeren Prüfung unterzogen werden.
Keine Prüfungsimmunität
Im Fall Delivery Hero/Glovo wurde das Abwerbeverbot vereinbart, als Delivery Hero eine Minderheitsbeteiligung an Glovo erwarb, und blieb in Kraft, bis Delivery Hero Glovo einige Jahre später vollständig aufkaufte. Nach Ansicht der Kommission rechtfertigte die Beteiligung eindeutig kein umfassendes Abwerbeverbot für praktisch alle Beschäftigten (mit Ausnahme der Kuriere). Sie wies darauf hin, dass das ursprünglich zwischen beiden Unternehmen vereinbarte Abwerbeverbot zielgerichteter war, da es sich auf gegenseitige Einstellungsverbote für bestimmte Mitarbeiter beschränkte.
Die Entscheidung der Kommission, sobald sie veröffentlicht ist, wird möglicherweise mehr Licht in ihre Analyse bringen. Der Unterschied zwischen dem ursprünglichen und dem erweiterten Geltungsbereich des Abwerbeverbots deutet jedoch generell darauf hin, dass gezielte, begrenzte Abwerbeverbote, die eine Nebenbestimmung eines ansonsten rechtmäßigen (teilweisen) Unternehmenserwerbs oder Partnerschaft sind, einer kartellrechtlichen Prüfung eher standhalten.
Lessons learned
In diesem Zusammenhang bietet der Fall von Delivery Hero und Glovo die Gelegenheit, einige praktische Lehren für Unternehmen zu ziehen, um beschäftigungspolitische Strategien zu entwickeln und gleichzeitig rechtliche Risiken einzudämmen.
Eigenständige Vereinbarungen mit einem Wettbewerber, keine Mitarbeiter des jeweils anderen abzuwerben oder einzustellen, werden weiterhin ein hohes Risiko begründen, da Kartelluntersuchungen mit hohen Geldstrafen drohen. Die kartellrechtlichen Risiken bestehen unabhängig davon, ob solche Vereinbarungen auf Gegenseitigkeit beruhen oder als Abwerbe- oder Einstellungsverbote strukturiert sind.
Bestimmte nationale Regelungen im Arbeitsrecht oder über unlautere Handelspraktiken (UWG) missbilligen diese Art von Vereinbarungen ebenfalls. So gelten in Deutschland Vereinbarungen zwischen Unternehmen/Arbeitgebern, die die Einstellung von Arbeitnehmern verbieten, nach dem Handelsgesetzbuch als unverbindlich und sind damit nicht durchsetzbar. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass dies auch für Abwerbeverbote zwischen Arbeitgebern gilt.
Abwerbeverbote im Rahmen einer umfassenderen (rechtmäßigen) M&A Transaktion oder Beteiligung (einschließlich Minderheitsbeteiligungen) sowie Partnerschaft können aus kartellrechtlicher Sicht rechtmäßig sein, wenn (1.) sie für die Partnerschaft, die Transaktion oder die Beteiligung notwendig und (2.) erforderlich sind (mildestes Mittel).
Fallweise Beurteilung
Solche Vereinbarungen sollten auf Mitarbeiter in Schlüsselpositionen mit einschlägigem Fachwissen begrenzt und/oder von kurzer Dauer sein. Dies muss von Fall zu Fall beurteilt werden, wobei die Besonderheiten der betreffenden Transaktion oder Investition zu berücksichtigen sind. Angesichts des strategischen Werts von Talenten sowie Expertenwissen und der wachsenden Zahl von R&D-bezogenen Partnerschaften und Transaktionen in den Bereichen künstliche Intelligenz und Life Science kann die interne kartellrechtliche Bewertung von damit verbundenen Abwerbeverboten in bestimmten Branchen an Bedeutung gewinnen.
Bei der Prüfung müssen auch das Arbeitsrecht und UWG berücksichtigt werden. So lassen die deutschen arbeitsrechtlichen Vorschriften im Allgemeinen Abwerbeverbote während der Due-Diligence-Prüfung im M&A Kontext oder im Rahmen von Vertriebsvereinbarungen zwischen unabhängigen Unternehmen zu, sofern sie eine Geltungsdauer von zwei Jahren nach Beendigung der Vertriebsbeziehung nicht überschreiten.
Die EU-Kartellvorschrift über wettbewerbswidrige Vereinbarungen (Art. 101 AEUV) gilt nur für Abwerbeverbote und vergleichbare Vereinbarungen zwischen unabhängigen Marktteilnehmern (zum Beispiel zwischen Wettbewerbern oder einem Lieferanten und seinem Kunden). So hat die Kommission erklärt, dass sie Wettbewerbsverbote in Verträgen zwischen einem Arbeitgeber und seinen Mitarbeitern als nicht unter Art. 101 AEUV fallend betrachtet.
Dennoch könnten solche Bestimmungen nach Art. 102 AEUV geprüft werden, der einseitige Maßnahmen von marktbeherrschenden Unternehmen regelt. Darüber hinaus müssen diese vertraglichen Beschränkungen auch mit dem Arbeitsrecht und UWG übereinstimmen, woraus weitere Einschränkungen folgen können.
Vertragliche Optionen
Folglich können wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen in Arbeitsverträgen weiterhin Optionen für Arbeitgeber sein, um ihre internen Investitionen in die Förderung von Talenten sowie ihr Know-how und ihre Geschäftsgeheimnisse zu schützen – vorausgesetzt, dass solche Vereinbarungen die Grenzen aus dem Arbeitsrecht und UWG wahren (und unter der Voraussetzung, dass der Arbeitgeber keine beherrschende Stellung auf dem betreffenden Arbeitsmarkt einnimmt). Beispiele hierfür sind etwa Freistellungsklauseln, die Vereinbarung einer Mindestbeschäftigungsdauer, lange Kündigungsfristen, nachvertragliche Wettbewerbsverbote, Geheimhaltungsvereinbarungen oder auch vertragliche Vereinbarungen zur Rückzahlung anteiliger Ausbildungskosten.
Das deutsche Arbeitsrecht und die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts lassen solche Vereinbarungen zu, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind, zum Beispiel wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine gewisse Entschädigung für die Einhaltung des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots zahlt. Aufgrund dieser Kostenlast eignet sich ein solches Verbot nicht als Standardklausel für alle Arbeitsverträge.
Einzelne nachvertragliche Abwerbeverbote, die sich auf die berechtigte Befürchtung des Arbeitgebers hinsichtlich der Abwerbung seiner Mitarbeiter durch den ehemaligen Mitarbeiter beziehen, würden ebenfalls einer kartellrechtlichen Prüfung standhalten.
Wechselwirkungen
Mit anderen Worten: Ein gezieltes Abwerbeverbot in einem Arbeitsvertrag kann zulässig sein, sofern es mit dem Arbeitsrecht und UWG in Einklang steht. Hier sind Vereinbarungen, die einen ehemaligen Mitarbeiter daran hindern, ehemalige Kollegen für seinen neuen Arbeitgeber abzuwerben, in der Regel wirksam und erfordern keine Entschädigung. Sollen sie dagegen die Abwerbung zum Vorteil des ehemaligen Mitarbeiters (beispielsweise zur Gründung eines eigenen Unternehmens) verhindern, dann muss der ehemalige Arbeitgeber dieselbe Entschädigung zahlen wie für ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot.
Die Wechselwirkung zwischen den Kartellvorschriften und dem Flickenteppich heterogener nationaler Beschäftigungs- und Unlauterkeitsvorschriften wird zweifellos auch weiterhin Herausforderungen für weltweit tätige Unternehmen mit sich bringen, was die Bedeutung regelmäßiger Überprüfungen ihrer arbeitsvertraglichen Rahmenbedingungen und Strategien in verschiedenen Ländern unterstreicht.
*) Dr. Nadine Kramer ist Of Counsel von Covington & Burling LLP und Head der Employment Praxis in Frankfurt. Christian Ahlborn ist Partner der Antritrust Praxis in Brüssel, Laurie-Anne Grelier ist Of Counsel der Antritrust Praxis.