Whistleblower

Umsetzung der Hinweisgeber-Richtlinie geht in die richtige Richtung

Das Bundesjustizministerium hat einen Referentenentwurf zur Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie vorgelegt. Für Unternehmen bleibt Anpassungsbedarf.

Umsetzung der Hinweisgeber-Richtlinie geht in die richtige Richtung

Von Ines Keitel*)

Am 13. April 2022 hat das Bundesjustizministerium den neuen Referentenentwurf zur Umsetzung der Hinweisgeber-Richtlinie (Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates (EU) 2019/1937) veröffentlicht. Nachdem die Frist zur Umsetzung hinsichtlich von Unternehmen mit mehr als 249 Beschäftigten bereits zum 17. Dezember 2021 abgelaufen war, hatte die EU-Kommission im Januar 2022 gegen Deutschland (und andere Mitgliedstaaten) ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet.

Der neue Referentenentwurf sieht für Unternehmen, die mehr als 249 Beschäftigte haben (und bestimmte Arten von Unternehmen unabhängig von der Zahl ihrer Beschäftigten, wie etwa Wertpapierdienstleistungsunternehmen), verpflichtend vor, interne Meldekanäle einzurichten; Unternehmen ab 50 bis 249 Beschäftigte haben dazu noch bis zum 17. Dezember 2023 Zeit.

Reputationsschäden drohen

Unternehmen sollten mit einer Umsetzung des Referentenentwurfs noch in diesem Jahr rechnen und entsprechende Meldekanäle einrichten oder anpassen, um die im Entwurf vorgesehenen Bußgelder und Reputationsschäden infolge andernfalls drohender öffentlicher Meldung von Verstößen zu vermeiden. Dies gilt unabhängig davon, ob ein entsprechendes Gesetz am Ende Bestand hat.

Die Hinweisgeber-Richtlinie soll den Schutz von Personen stärken, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, die das öffentliche Interesse beeinträchtigen. Dies beruht u. a. auf der Erwägung, dass die effektive Geltung von Unionsrecht auch von der Meldung und Ahndung von Verstößen gegen dieses abhängt. Eine solche Meldung unterbleibt aber häufig aus Angst vor Repressalien, solange der Schutz von Hinweisgebern in Europa unterschiedlich stark ausgeprägt ist. Beides ist völlig richtig.

Für die Praxis weniger klar nachvollziehbar sind indes die aufgrund des Richtlinienwortlauts lautgewordenen Zweifel, ob effektive Aufklärung und Schutz durch zentrale Meldesysteme und Untersuchungseinheiten auf Konzernebene sichergestellt werden können. Die zuständige Einheit der EU-Kommission hat u. a. im Juni 2021 gegenüber Vertretern der Industrieverbände mehrerer Mitgliedstaaten die Auffassung vertreten, dass die entscheidende Vorschrift der Richtlinie so zu verstehen sei, dass investigative Ressourcen im Zusammenhang mit Meldungen nur unter bestimmten Umständen von mittelgroßen Unternehmen (bis zu 249 Beschäftigte) geteilt werden dürften, aber nicht von großen Unternehmen.

Vertreter der Wirtschaft haben hiergegen insbesondere eingewandt, dass dies dazu führe, dass der Hinweisgeber nicht nur den Meldekanal wähle, sondern aufgrund der Einschränkungen bei der Weitergabe von Informationen faktisch zugleich bestimme, auf welcher Ebene der Hinweis untersucht werden müsse. Die Notwendigkeit einer lokalen Untersuchung von Hinweisen ohne Möglichkeit des Rückgriffs auf Konzernressourcen würde Unternehmen vor erhebliche praktische und finanzielle Herausforderungen stellen.

Es ist gängige Praxis, jedenfalls größere interne Untersuchungen zentral nach einheitlichen Maßgaben durchzuführen, so dass Unternehmen in der Regel lokal keine entsprechend geschulte und ausgestattete Untersuchungseinheit vorhalten.

Die Begründung zum Referentenentwurf sieht nun vor, dass Meldestelle und Bearbeitung der Meldung auch bei Gruppenunternehmen liegen könnten, vorausgesetzt, Interessenkonflikte sind ausgeschlossen, Vertraulichkeit und Unabhängigkeit sichergestellt, und dies geschieht im Auftrag des jeweiligen Tochterunternehmens. Dies folgt einer neueren Entwicklung, wonach zuletzt andere Mitgliedstaaten wie Frankreich und Spanien dem Beispiel von Dänemark folgend eine flexiblere Auslegung der Hinweisgeber-Richtlinie angenommen und sich einem Rückgriff auf Gruppenlösungen geöffnet hatten.

Ob eine so interpretierte Regelung, die den Rückgriff auf Konzernressourcen auch bei großen Unternehmen erlaubt, letztlich Bestand haben oder im Rahmen von Vertragsverletzungsverfahren für unvereinbar mit der Hinweisgeber-Richtlinie erklärt werden wird, bleibt angesichts der bislang klar einer solchen Auslegung entgegenlaufenden Positionierung der EU-Kommission abzuwarten.

Repressalienverbot

Die Auslegungskompetenz liegt beim Europäischen Gerichtshof, die Einleitung des Verfahrens jedoch bei der EU-Kommission. Dennoch ist die Begründung des Referentenentwurfs für die Unternehmenspraxis ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Sie bedeutet indes nicht, dass Konzerne, die bereits über ein Hinweisgebersystem verfügen, keine Anpassungen vornehmen müssen. Die verschärften bußgeldsanktionierten Vertraulichkeitsvorschriften und das ausgeweitete Repressalienverbot führen gerade hinsichtlich von Sachverhalten, die Gruppengesellschaften in verschiedenen Mitgliedstaaten mit abweichenden Umsetzungsregelungen betreffen, zu erheblichem Handlungsbedarf bei Zuständigkeiten, Standards und Prozessen. Die Be­gründung zum Referentenentwurf stellt überdies klar, dass die Verantwortlichkeit, Verstöße effektiv abzustellen, bei dem einzelnen Unternehmen verbleibt und sichergestellt werden muss.

*) Dr. Ines Keitel ist Head of Employment & Pensions und Co-Head of Data Protection Deutschland von Clifford Chance in Frankfurt.

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