EU-Kommission

Wie Europa sich vor ausländischen Sanktionen schützen sollte

Sanktionen waren ein Markenkern der US-Außenpolitik unter Präsident Trump. Kurz vor dessen Scheiden aus dem Weißen Haus haben die USA noch einmal eine Welle von Sanktionen gegen China, Russland, Venezuela, Kuba und Iran verabschiedet.

Wie Europa sich vor ausländischen Sanktionen schützen sollte

Von Bärbel Sachs und Carl-Wendelin Neubert*)

Sanktionen waren ein Markenkern der US-Außenpolitik unter Präsident Trump. Kurz vor dessen Scheiden aus dem Weißen Haus haben die USA noch einmal eine Welle von Sanktionen gegen China, Russland, Venezuela, Kuba und Iran verabschiedet. Extraterritoriale Sanktionen schränken aber auch die Handlungsfähigkeit von Politik und Unternehmen in der EU ein. Die EU-Kommission kündigt Widerstand an.

US-Sanktionen lassen sich nicht schlicht als legitimes Mittel der Außenpolitik charakterisieren. Zwar verhängt auch die EU Sanktionen, die ihre Bürger und Unternehmen sowie Drittstaatsangehörige im EU-Gebiet­ zur Einhaltung verpflichten. Doch viele US-Sanktionen gehen weiter und beschränken sich nicht darauf, US-Bürgern oder US-Unternehmen bestimmte Geschäfte mit sanktionierten Staaten zu untersagen oder Wirtschaftsteilnehmern aus Drittstaaten bei Sanktionsverstößen den Zugang zu den USA und zum US-Finanzsystem zu versperren.

Vielmehr beinhalten viele US-Sanktionsregime sogenannte Secondary Sanctions. Diese Sekundärsanktionen wirken extraterritorial: Sie verpflichten Personen und Unternehmen anderer Staaten dazu, sich an die Sanktionen zu halten – selbst wenn die sanktionierten Geschäfte keinerlei Bezug zu den USA aufweisen. So verbieten die 2018 wieder eingeführten Sekundärsanktionen gegen Iran u. a. signifikante Geschäfte im iranischen Automobilsektor – was sämtliche europäische Automobilhersteller dazu bewegt hat, sich aus dem Iran zurückzuziehen.

Denn bei Verstößen gegen Sekundärsanktionen droht die Aufnahme in die Liste der Specially Designated Nationals and Blocked Persons (SDN). Die Folgen sind verheerend. US-Unternehmen und US-Personen ist es unter Strafandrohung untersagt, mit als SDN gelisteten Personen und Unternehmen Geschäfte einzugehen. Wer mit SDN signifikante Geschäfte führt, droht ebenfalls gelistet zu werden. Deshalb unterlassen die meisten westlichen Geschäftspartner Geschäfte mit SDN. Eine SDN-Listung kommt einer weitgehenden wirtschaftlichen Handlungsunfähigkeit gleich. Der 2014 gelistete Manager der Deutschen Forfait AG Ulrich Wippermann konnte nicht einmal mehr Gartenmöbel bestellen.

Mit Trumps Abgang dürfte sich das Problem kaum erledigt haben. Sekundärsanktionen wurden unter Präsident Clinton eingeführt und unter Präsident Obama deutlich ausgeweitet. Es steht nicht zu erwarten, dass die Biden-Administration bei der Durchsetzung außenpolitischer Vorhaben auf den Einsatz von Sekundärsanktionen verzichten wird.

Resilienz-Fonds

Extraterritorial wirkende unilaterale Wirtschaftssanktionen verstoßen gegen das Völkerrecht. Sie beeinträchtigen zudem die außen- und wirtschaftspolitischen Handlungsspielräume der EU. So haben US-Sekundärsanktionen gegen Iran die Geschäftstätigkeit europäischer Unternehmen im Iran auf Eis gelegt und das Atomabkommen an den Rand des Scheiterns gebracht. Die wirtschaftlichen und politischen Kosten von US-Sekundärsanktionen sind immens, der Rückzug aus dem Iran war teuer, ein vergleichbarer Rückzug aus Russland wäre unbezahlbar.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten sind gut beraten, schnellstmöglich wirksame Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Bislang ergriffene Maßnahmen wie die Reaktivierung der aus den 1990er Jahren stammenden Blocking-Verordnung, die europäischen Wirtschaftsteilnehmern die Einhaltung bestimmter Sekundärsanktionen untersagt, oder die Schaffung der Instex-Gesellschaft zur Abwicklung von Zahlungsverkehr mit Iran haben die Wirkungen von Sekundärsanktionen bislang kaum abfedern können.

Am 19.1.2021 hat die EU-Kommission erste Maßnahmen zur Stärkung der wirtschaftlichen und finanziellen Souveränität Europas veröffentlicht. So will die EU die Bedeutung des Euro als internationales Zahlungsmittel stärken, Anfälligkeiten der europäischen Finanzmarktinfrastruktur gegenüber extraterritorialen Sanktionen identifizieren und Zahlungskanäle in Sanktionsfällen offenhalten. Im Laufe des Jahres will die Kommission zudem Vorschläge zur Abschreckung und Bekämpfung extraterritorialer Zwangsmaßnahmen von Drittstaaten vorlegen.

Konkrete Vorschläge, wie die Abwehrbereitschaft der EU gestärkt und die europäische Souveränität geschützt werden kann, existieren bereits. Besondere Aufmerksamkeit verdienen Vorschläge, die der European Council on Foreign Relations erarbeitet hat. Die zehn Vorschläge reichen vom Ausbau der Blocking-Verordnung bis zur Schaffung einer Europäischen Exportbank.

Im Zentrum der Vorschläge steht ein kollektiver europäischer Schutzmechanismus, der die Kommission in die Lage versetzt, in Reaktion auf wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen von Drittstaaten Gegenmaßnahmen zu ergreifen – z. B. Sanktionen gegen US-Personen, die von Sekundärsanktionen profitieren, Strafzölle auf US-Waren­ oder Investitionsbeschränkungen. Hervorzuheben ist der Vorschlag für einen EU-Resilienz-Fonds. Dieser soll Unternehmen und Personen vor den individuellen Auswirkungen ausländischer Sanktionen schützen und dadurch entstandene Verluste entschädigen. Das ist entscheidend, da Betroffene mit den verheerenden Sanktionsfolgen bislang zumeist allein gelassen werden. In jedem Fall ist ein Handeln der EU dringend geboten.

*) Dr. Bärbel Sachs ist Partnerin und Dr. Carl-Wendelin Neubert Senior Associate bei Noerr.

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