Ansichtssache75 Jahre Grundgesetz

Verlässliches Fundament für Staat, Gesellschaft und Unternehmertum

Staatlich garantierte Freiheiten sind Voraussetzung dafür, dass es sich für Menschen lohnt, unternehmerisch zu handeln, unterstreicht Hans Joachim Reinke, Vorstandsvorsitzender von Union Investment, in einem Gastbeitrag zum Jubiläum des Grundgesetzes.

Verlässliches Fundament für Staat, Gesellschaft und Unternehmertum

Ansichtssache

Verlässliches Fundament für Staat, Gesellschaft und Unternehmertum

Von Hans Joachim Reinke, Vorstandsvorsitzender Union Investment

Am 23. Mai 2024 wird die Bundesrepublik 75 Jahre alt. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen ist der Tag ein Grund zum Feiern, denn ein wichtiger Faktor für die Stabilität unserer Demokratie ist das Grundgesetz. Es legt die Spielregeln für das Funktionieren unseres Staates fest und es erfüllt auch heute noch seine wichtigste Funktion, indem es Regeln definiert, die unsere Freiheit garantieren. Das Grundgesetz ordnet nicht nur den Aufbau der staatlichen Institutionen. Es formuliert auch einen Wertekanon als Grundlage für unser Zusammenleben. Dieser oft zitierte Geist des Grundgesetzes durchweht auch unsere Wirtschaftsordnung und damit auch das Handeln in Unternehmen. Zwar enthält es keine konkrete wirtschaftspolitische Programmatik, die über ein Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft hinausginge. Trotzdem hat es für die wirtschaftliche Verfassung erhebliche Relevanz, denn seine staatlich garantierten Freiheiten sind Voraussetzung dafür, dass es sich für Menschen lohnt, unternehmerisch zu handeln.

Das war gerade nach dem Krieg von großer Bedeutung. Denn seine verlässlichen Rahmenbedingungen waren die Grundlage dafür, dass in den Nachkriegsjahren der Wohlstand entstand, der identitätsstiftend für die junge Republik wurde.

Mit dem Verweis darauf, dass Eigentum auch verpflichtet, macht die Verfassung deutlich, dass die Wirtschaft einen Ordnungsrahmen braucht, damit die individuelle Freiheit zum Wohl aller beitragen kann. Dadurch definierte das Grundgesetz schon in der Nachkriegszeit stabile Leitplanken für eine erfolgreiche Unternehmensführung und eine zukunftsfähige Corporate Governance.

Veränderung und Ungewissheit

Zweifelsohne ist die Welt heute komplexer und Management muss mehr denn je mit Veränderung und Ungewissheit umgehen. Gute Corporate Governance ist daher umso wichtiger für erfolgreiches Unternehmertum. Denn wie das Grundgesetz für die Gesellschaft, spannt die Corporate Governance für Unternehmen einen Schirm aus Werten, Normen und Vorschriften auf, die dazu beitragen, dass Firmen langfristig erfolgreich bleiben.

Worauf müssen sich nun Unternehmen vor dem Hintergrund einer globalen Welt mit unterschiedlichen Wertevorstellungen und neuen geostrategischen Herausforderungen einstellen? Eine gute Corporate Governance kann helfen, schneller Antworten zu bekommen. Das hilft dabei, frühzeitig Veränderungen zu antizipieren und Lösungen zu finden, die unternehmerischen Erfolg langfristig absichern können. Mit diesem Ansatz passt eine gute Corporate Governance perfekt zum eher kooperativ ausgelegten deutschen Wirtschaftsmodell. Ähnlich wie im Grundgesetz sind deutsche Unternehmen traditionell um Ausgleich bemüht. Und darin steckt auch eine besondere Chance für Deutschland – wenn wir diese Eigenschaft noch konsequenter als Stärke kultivieren.

Dabei kommt es vor allem auf drei Aspekte an: Erstens ist ein regelmäßiger Austausch zwischen den relevanten Akteuren unverzichtbar. Denn nur durch Transparenz kann Vertrauen entstehen. Zweitens ist es wichtig, dass die Menschen an den entscheidenden Schnittstellen ihr Handwerk beherrschen, ihre Rolle kennen und wissen, wie sie zum Unternehmenserfolg beitragen können. Eine tiefgreifende Kenntnis der globalen Kapitalmärkte, kommunikative Fähigkeiten sowie unternehmerische Erfahrung werden daher in Zukunft wichtige Bestandteile des Anforderungsprofils von Aufsichtsräten darstellen. Drittens müssen auch die Aufsichtsräte von Unternehmen über ein tiefgehendes Verständnis globaler und vor allem angelsächsischer Investoren und deren Ziele verfügen, auch weil aktivistische Tendenzen aus diesen Ländern zunehmen. Von daher müssen Offenheit, Lernfähigkeit und eine angemessene Reaktionsfähigkeit das Handeln bestimmen.

Hier geht die Rolle der Corporate Governance über die einer staatlichen Verfassung hinaus. Denn anders als der Staat, dem es primär um die Absicherung seiner demokratischen Institutionen geht, müssen Unternehmen vor allem in der Lage sein, sich verändernden Rahmenbedingungen anzupassen. Daher geht es bei der Verfassung von Unternehmen um die Wahrung der Handlungs- und Wandlungsfähigkeit, um Marktchancen auch in sich verändernden Kontexten nutzen zu können. Eine gute Corporate Governance muss das stets im Blick haben, indem sie so angelegt ist, dass alle relevanten Informationen und Interessen der Stakeholder bei den Entscheidungsprozessen berücksichtigt werden.

Älter als das Grundgesetz

Wie das funktionieren kann, zeigt der Blick auf ein Organisationsmodell, das noch deutlich älter ist als das Grundgesetz: die Genossenschaftsidee. Grundsätze wie Partnerschaftlichkeit und Solidarität sind Teil der DNA dieser Unternehmen. Dieser Wertekonsens hilft nicht nur dabei, unterschiedliche Auffassungen zusammenzubringen, sondern daraus eine besondere Stärke zu entwickeln. Das zeigt sich gerade in herausfordernden Zeiten, in denen Genossenschaften in der Vergangenheit besonders gut zeigen konnten, welche Kraft in ihrem ganz besonderen Governancemodell steckt.

Staatlich garantierte Freiheiten sind Voraussetzung dafür, dass es sich für Menschen lohnt, unternehmerisch zu handeln.

Hans Joachim Reinke ist Vorstandsvorsitzender von Union Investment. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.