Rio Tinto

Skandal um Kulturerbe-Zerstörung holt Chairman ein

Der Skandal um die Zerstörung einer heiligen Stätte der Ureinwohner in Australien durch den Bergbauriesen Rio Tinto mit Sitz in London sorgt nun auch an der Spitze des Boards für Konsequenzen. Nach dem CEO und zwei weiteren Topmanagern muss auch...

Skandal um Kulturerbe-Zerstörung holt Chairman ein

Von Daniel Schauber, Frankfurt

Der Skandal um die Zerstörung einer heiligen Stätte der Ureinwohner in Australien durch den Bergbauriesen Rio Tinto mit Sitz in London sorgt nun auch an der Spitze des Boards für Konsequenzen. Nach dem CEO und zwei weiteren Topmanagern muss auch Chairman Simon Thompson gehen.

Der Fall zeigt, wie stark der Druck von Investoren mittlerweile auf globale Multis ist, bei ihrem Geschäftsgebaren soziale Standards zu beherzigen. Fondsgesellschaften sehen sich nämlich immer stärker gezwungen, ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance) bei ihren Anlageentscheidungen zu berücksichtigen. Der Fall Rio Tinto wirft so ein Schlaglicht auf das Spannungsfeld zwischen Profitstreben und gesellschaftlich akzeptiertem Handeln. Er macht auch den langen Schatten sichtbar, den eine problematische Kolonialgeschichte werfen kann. Rio Tinto, die ihr Geschäft in der ehemaligen britischen Kolonie Australien macht und von London aus geführt wird, profitiert vom globalen Rohstoffboom und hat die Aktionäre kürzlich mit einer Rekorddividende verwöhnt.

Ton wird ganz oben gesetzt

Der Geldregen konnte den Skandal um die Zerstörung der heiligen Höhlen in Australien, der ins Herz der Ureinwohner des Kontinents traf, jedoch nicht vergessen machen. Dass nun auch der Chairman von Rio Tinto in den Sog des Falls geraten ist, ist eine bezeichnende Wendung. Der spektakuläre Schritt trägt der Tatsache Rechnung, dass der Ton in einem Konzern an der Spitze gesetzt wird – an der Spitze des Boards – und dass auch dort Verantwortung für Fehlverhalten auf den Ebenen darunter zu suchen ist.

Rio-Tinto-Chairman Thompson, ein ehemaliger britischer Investmentbanker sowie einst Topmanager des Bergbauers Anglo American, soll innerhalb des nächsten Jahres zurücktreten. Er beugt sich damit dem Druck nach dem Aufschrei über die Zerstörung der 46000 Jahre alten heiligen Stätte der Ureinwohner in Westaustralien durch das Bergbauunternehmen im vergangenen Jahr. Thompson, der 2014 in den Board von Rio kam und vier Jahre später Chairman wurde, wird bei der Hauptversammlung 2022 nicht zur Wiederwahl antreten, wie der anglo-australische Konzern am Mittwoch mitteilte. Die Suche nach einem Nachfolger läuft, und es würde nicht verwundern, wenn dieser in Australien gefunden werden sollte.

Thompsons Schritt folgt auf einen Sturm der Entrüstung über die anfängliche Entscheidung des Boards, keine Führungskräfte zu entlassen, nachdem zwei uralte Felsenunterstände in der Juukan-Schlucht im Mai 2020 gesprengt worden waren. Die Zerstörung der Höhlen, die Thompson jetzt in einem Statement als „die tragischen Ereignisse in der Juukan-Schlucht“ bezeichnete, hatte weltweit zu Kritik geführt. Der Unesco-Vorsitzende für Kulturgüterschutz, Peter Stone, hatte die Sprengung als „Tragödie“ und eine der schlimmsten Kulturgüterzerstörungen der jüngeren Geschichte bezeichnet. Rio Tinto, die 1873 gegründet wurde und eines der größten Bergbauunternehmen der Welt ist, wollte durch die Sprengung Eisenerz im Wert von 188 Mill. Dollar gewinnen.

„Nie wieder“

Der Druck von australischen Pensionsfonds und anderen Investoren erzwang schließlich im September letzten Jahres den Rücktritt des damaligen Rio-Tinto-CEO Jean-Sébastien Jacques, der bei seinem Abgang zwei weitere Topmanager des Bergbauers mit in den Abgrund riss. Chairman Thompson statuierte seinerzeit ein Exempel an dem Rio-Tinto-Topmanagement und erklärte zum Abgang des CEO unverblümt: „Was in Juukan geschah, war falsch, und wir sind entschlossen, dafür zu sorgen, dass die Zerstörung eines Kulturerbes von so außerordentlicher archäologischer und kultureller Bedeutung bei Rio Tinto nie wieder vorkommen wird.“

An die eigene Nase fasste sich der Chairman, ein britischer Staatsbürger, damals allerdings nicht, womit er Fragen Raum gab, wie tief die Governance-Probleme bei Rio Tinto eigentlich im Board wurzeln und wie blind man dort für potenziell problematisches Handeln ist. Für weiteren Zündstoff sorgte die Tatsache, dass Rio Tinto im vergangenen Monat offenlegte, dass der geschasste CEO vom Board trotz der Zerstörung der Höhlen eine 20-prozentige Gehaltserhöhung zugesprochen bekam.

Mit der Entscheidung, nicht zur Wiederwahl anzutreten, nimmt sich Chairman Thompson nun faktisch aus der Schusslinie, nachdem Rio Tinto ihre Beziehung zu indigenen Gruppen schwer beschädigt hat. Es ist naheliegend, dass australische Investoren ohnehin gegen die Wiederwahl des Chairmans gestimmt hätten. Thompsons Entscheidung kommt zudem zu einem Zeitpunkt, an dem Rio Tinto auch auf einem anderen Kontinent mit Problemen konfrontiert ist, und zwar wegen der Entwicklung einer riesigen Kupfermine in Arizona, bei der indianisches Land betroffen ist. Thompson zeigte nun Reue und erklärte nun mit Blick auf die Zerstörung der Höhlen in Australien: „Als Chairman bin ich letztlich verantwortlich für die Versäumnisse, die zu diesem tragischen Ereignis führten.“ Die Erkenntnis, dass er bei der Governance nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems sein könnte, kam spät.