Asset Management - Die Kapitalanleger

Bauchgefühl verboten!

Frank Lingohr betrachtet Aktien rein quantitativ - Fondsmanager sucht vom rheinischen Erkrath aus weltweit nach Titeln

Bauchgefühl verboten!

Von Inken Schönauer, Düsseldorf Wolkenkratzer, Wall Street, Wechselkurse. Wer an Aktienhandel denkt, dem kommen Finanzmetropolen und hektisches Treiben in den Sinn. Kaufen, verkaufen, innerhalb von Sekunden werden so Millionen gewonnen und verloren. Erkrath im Januar. In einem eher unscheinbaren Gebäude in einem Industriegebiet des Düsseldorfer Vororts Erkrath sitzt Frank Lingohr. Der Geschäftsführer der Vermögensverwaltungsgesellschaft Lingohr & Partner lacht, wenn man ihn auf seinen doch eher unspektakulär anmutenden Standort in Erkrath anspricht: “Wenn man von Omaha aus gute Geschäfte tätigen kann, dann geht das auch von Erkrath aus”. In Omaha sitzt Warren Buffett, der schlitzohrige, in die Jahre gekommene Herr mit der großen Hornbrille, der nichts kauft, was er nicht versteht. Ein Vorbild für viele Asset-Manager, auch für den 61-jährigen Lingohr. Unternehmen verstehenEnron beispielsweise habe er, Lingohr, nie so richtig verstanden. Und auch nicht den Hype, der dieses Unternehmen erfasst hatte. Also habe er die Finger davon gelassen. Zum Glück, wie sich erst sehr viel später herausstellen sollte. Enron sollte sich bekanntermaßen zu einem der größten Bilanzskandale Amerikas entwickeln. Viele Investoren verloren ihr Geld. Rund 7 Mrd. Euro hat Lingohr derzeit unter seiner Fittichen. In 160 bis 170 Unternehmen ist er investiert Ein Vielfaches davon haben er und seine 33 Mitarbeiter unter ständiger Beobachtung. Die Daten für seine Analysen und Kauf- oder Verkaufsentscheidungen bekommt er vom New Yorker Anbieter CSFB Holt. Der Entscheidung, in welches Unternehmen er investiert, sollen möglichst neutrale Kriterien zu Grund liegen. Das macht Lingohr zu einem quantitativen Asset Manager. Bauchentscheidungen soll es möglichst nicht geben. Dabei hätte er immer schon so gerne Apple-Aktien in seinem Portfolio gehabt. Aber die objektiven Parameter lassen ihn einfach nicht: zu teuer. Nackte Zahlen Lingohr meidet Analysten, deren Analysen und möglichst auch Unternehmenschefs und deren Präsentationen. Sie wollen alle etwas verkaufen, ihn, den Asset Manager, beeinflussen. Emotionen aber haben im quantitativen Anlageansatz keinen Platz. Ganz ohne Emotionen geht es aber auch bei Lingohr nicht. Die Entscheidungen mögen auf nüchternen Daten basieren, Begeisterung aber zeigt er für die Sache. Seit über vierzig Jahren ist er in diesem Geschäft. Er war bei Merrill Lynch, beim Vermögenverwalter Großbötzl, Schmitz & Partner oder auch bei Prudential Bache Securities. Seit 1977 ist er mit seinem eigenen Unternehmen selbständig. Er führt das Unternehmen mit seinem Geschäftspartner Michael Broszeit, den er noch aus seinenen Zeiten bei Merrill Lynch kennt. Eine typische Bankerkarriere könnte man meinen. Doch dies ist es gerade nicht. Lingohr verließ noch vor der mittleren Reife die Schule, machte später zunächst eine Ausbildung zum Großhandelskaufmann. “Ich habe immer das Glück gehabt, bemerkenswerte Leute zu treffen, die mir für ein paar Jahre den Weg gewiesen haben.” Das führte Lingohr auf diverse Positionen: Programmierer, Systemanalytiker, später Vertriebsbeauftragter der Firma Frieden, eines der ersten Anbieter von elektronischen Tischrechnern. Ende der sechziger Jahre entdeckte er seine Leidenschaft für die Börse. Die war Anfang der siebziger Jahre zunächst erstmal wieder vorbei. In den USA gab es einen Hype um die Aktien der fünfzig vermeintlich attraktivsten Unternehmen (sogenannte nifty fifty), was die Kurse erst explodieren ließ und dann zu großen Verlusten führte. Das machte Lingohr nicht mit, pausierte und stieg erst drei Jahre später wieder ein. Resultate sehenWas ist Lingohrs Antrieb? “Ich bin sehr kompetitiv”, sagt er. Jeden Tag könne er die Resultate seiner Arbeit ablesen. Was macht einen guten Asset Manager aus? Die innere Stärke zu haben, auch einmal Außenseiter zu sein. Wenn es die Daten eben hergeben. Ländergrenzen für Investments gibt es bei Lingohr daher fast nicht. Russland beispielsweise meidet er dann aber doch. Dort stelle sich nicht die Frage nach einem Return on Investment, sondern eher nach einem “Return of Investment”.In Lingohrs Büro stehen Dutzende von Büchern. “Ich habe ein manisches Lesebedürfnis”, sagt Lingohr. “Aus dieser Krankheit konnte ich bisher sehr gut einen Beruf machen.” Denn wer viel lese, habe einen Informationsvorsprung vor anderen, und dieser Abstand vergrößere sich, je mehr man lese. Es gehe dabei darum, nicht in einem, sondern in vielen Sachgebieten zu stöbern, um dort Anregungen finden. Dies hat er übrigens mit Warren Buffett und dessen Geschäftspartner Charly Munger gemein. Munger selbst scherzte vor ein paar Jahren, dass seine Kinder über ihn lachen würden. “Sie denken, ich bin ein Buch, das Beine hat”. Und so passiert es, dass man sich im Gespräch mit Lingohr über Aktien plötzlich inmitten einer Buchbesprechung und der Diskussion wiederfindet, ob die Gauß’sche Normalverteilungskurve, also die Berechnung von Wahrscheinlichkeiten, nicht eigentlich “völliger Blödsinn” sei. Einige Autoren hätten sich damit auseinandergesetzt, dass unwahrscheinliche Ereignisse sehr viel häufiger auftreten, als dies statistisch sein dürfte. Zurück zu Lingohrs Antrieb. Es mache ihm großen Spaß, die Aktien herauszufinden, die gut laufen. Natürlich klappt das nicht jeden Tag, derzeit liege man angesichts des schwierigen Börsenumfelds leider etwas hinten. Sein Geschäftsmodell allerdings sei ohnehin langfristig ausgelegt. Deswegen mache er auch nicht jeden Trend mit. Beispielsweise den der Solarenergie. Er persönlich halte viel von dieser Art der Energiegewinnung, habe selbst sogar Solarzellen auf dem Dach. Aber die Bewertungskriterien ließen einen Kauf nicht zu. So gehe es mitunter bei Lingohr eben ruhig zu, da man nicht täglich in Unternehmen ein- und auch wieder aussteige. “Viel Action im Portfolio können wir uns nicht leisten.” Also tatsächlich keine Spur von Hektik in Erkrath. Doch nicht komplett, denn Lingohr hat durchaus ein Faible für Geschwindigkeit Aber nicht auf dem Parkett, sondern privat mit dem Auto auf der Rennstrecke. Zuletzt erschienen: – 22. Januar: Karl Fickel – 15. Januar: Ulrich W. Schwittay – 8. Januar: Jean-Pierre Schumacher